29.10.2024

Dass sich Bergbaulandschaften vom für uns gewohnten Umland unterscheiden, wird beim Anblick von tiefen Erdgruben und Kilometer weiten zum Teil kahlen Rohbodenflächen niemand bestreiten. Was für einen Forst- oder Landwirt nicht nutzbares Land darstellt, entfaltet für den Arten- und Biotopschutz hingegen einen besonderen Wert. Ohne die Zugabe von Nährstoffen oder Mineraldüngemittel bleiben Böden nährstoff- und damit auch vegetationsarm. Hierin liegt die große und einmalige Chance für den Naturschutz, wie Experten in den vergangenen dreißig Jahren belegen konnten.

Mit dem politischen Umbruch in der damaligen DDR erlangte der Naturschutz zu Anfang der 1990er Jahre einen ganz neuen Stellenwert. Erstmalig galten gesetzliche Rahmenbedingungen für Umwelt- und Naturbelange, an die sich der Bergbau anpassen musste. Ging man zunächst von einer geringen Bedeutung der Bergbaufolgelandschaften für den Arten- und Biotopschutz aus, wandelte sich das Bild über die Jahre mit den wachsensen Aufgaben und daraus entstandenen Erkenntnissen.

Dr. Thomas Koch, Leiter Geotechnik bei LEAG, Foto: LEAG

Am Anfang kam die Bestandsaufnahme

Um den industriellen Eingriff des Bergbaus in die Landschaft auszugleichen, mussten sich die Fachleute vor rund dreißig Jahren zunächst einen Überblick über die Ausgangsbedingungen im Lausitzer Revier verschaffen.

Zehntausende Hektar Bergbauflächen wurden für eine Bestandsaufnahme kartiert. Daraus entstand eine Datengrundlage, auf die sich die heutigen Bergleute und Gestalter der Landschaft immer noch stützen, wie Dr. Thomas Koch, Leiter der Geotechnik bei LEAG berichtet.

„Damals hat man sich überlegt, wie die Bergbaulandschaft vor, während und bis zum Ende der aktiven Tagebaulaufzeiten gestaltet werden soll.

Festgehalten wurden diese Überlegungen in sogenannten Ökologischen Anforderungsprofilen, die genau vor 30 Jahren, im Jahr 1994, Eingang in die Rahmenbetriebspläne der Tagebaue fanden und so bis heute die analytische Grundlage für unsere Planungen und Arbeiten bilden“, so Dr. Koch.

Zusammengefasst versteht man unter Sukzession die neue Besiedlung eines Standortes durch typische Pflanzen- und Tiergesellschaften. Hier als Beispiel die ehemals Tagebau-, jetzt Naturschutzvorrang- und Sukzessionsfläche Fuchsberge, Foto: Dr. Wolfgang Böhnert

Elemente des Biomanagements zum Tagebau Welzow-Süd, Abbildung: LEAG

Biomanagement gibt Impulse für Naturschutz-Arbeiten der Bergleute

Mit den ökologischen Anforderungsprofilen verbunden ist eine komplexe ökologische Begleitung des Bergbaus – das Tagebau-spezifische Biomanagement. „Mit innovativen Methoden hat das Biomanagement nicht nur eine detaillierte Kompensation der Bergbau-Eingriffe in die Landschaft ermöglicht, sondern wurde selbst zum Impulsgeber für Planung und Umsetzung unserer Arbeit“, beschreibt Dr. Koch die Bedeutung des Biomanagements, das er mit seinen Kollegen aus dem Bereich Naturschutzmanagement verantwortet.

Tagung & Publikation

Mitte September haben Vertreter der LEAG gemeinsam mit langjährig tätigen Experten und Sachverständigen an der brandenburgisch-sächsischen Landesgrenze im Lausitzer Revier die Arbeit der letzten 30 Jahre in diesem Bereich mit einer Tagung gewürdigt. Begleitend zur Tagung ist eine Publikation mit dem Titel „Die Lausitz im Wandel. Vom Braunkohlenbergbau zum Hotspot der Biodiversität – Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten Biomanagement“ erschienen.

Bergbau schafft besondere Lebensräume

Für Bergleute wie für Naturschutz-Experten wurde innerhalb der letzten Jahrzehnte deutlich, dass es im Bergbauprozess möglich ist, besondere und vor allem einmalige Lebensräume zu schaffen. Während die „normale“ uns bekannte Kulturlandschaft durch eine intensive Nutzung nur noch eine geringe Vielfalt an Arten und Biotopen aufweist, sind nährstoffarme Böden und strukturiertes Offenland mit Sukzessionsflächen charakteristisch und wertvoll für Naturschutzgebiete mit einer großen biologischen Vielfalt.

Die besonderen Lebensräume entstehen dabei einerseits aus der normalen Bergbau-Routine heraus – wenn Landschaften aus der normalen Nutzung herausgenommen werden – und andererseits, weil gezielt Arten und Biotope geschützt werden sollen.

Viele Arten folgen dem Bagger

Schon die Herausnahme von Flächen aus der konventionellen Landnutzung und der damit verbundene Stopp bei der Zufuhr von Nährstoffen und Mineraldünger der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung macht sich in einem vielfältigen und besonderen Artenbestand bemerkbar, wie die Naturschutz-Experten feststellen konnten.

„Ein Königreich für Nährstoffarmut!“ dieser Satz von Dr. Wolfgang Böhnert, seines Zeichens Biologe und seit Anbeginn des Biomanagements im Tagebau Nochten und Reichwalde unterwegs, ist für die LEAG-Leiterin Naturschutzmanagement, Stine Thieß, ein prägender Satz zum Thema Biodiversität in den jungen Bergbaufolgelandschaften im Lausitzer Revier. „Hier werden Lebensräume gerade für Pionierarten wie Wechselkröte, Kreuzkröte, Steinschmätzer, Brachpieper, Zauneidechse und viele weitere in Deutschland bereits stark gefährdete Arten geschaffen, die gerade in der Bergbaufolgelandschaft Hotspots ihrer Verbreitung darstellen“, berichtet Stine Thieß. „Unser Ziel ist es, diese gefährdeten Arten und ihre Lebensräume langfristig, also auch für die kommenden Generationen zu sichern.“

1/3 Wechselkröte im grabfähigen Kipp-Substrat, Nordgraben, Foto: LEAG
2/3 Glockenheide Neue Jeseritzen, Foto: Dr. Wolfgang Böhnert
3/3 Rundblättriger Sonnentau und Sumpfbärlapp Neue Jeseritzen Nochten, Foto: Dr. Wolfgang Böhnert

Genauso bieten die häufig als Mondlandschaft negativ konnotierten Zwischenlandschaften in Tagebauen einer Reihe von Tieren Lebensräume, die sonst in Deutschland kaum noch zu finden sind. Viele Arten folgen dem Bagger, heißt es aus den Fachkreisen, darunter Amphibien, Insekten und Vögel.

Die Vielfalt der Bergbaulandschaft – bestehend aus Rohböden, Sukzessionsflächen sowie in Rekultivierung befindlichen Forst- und Landwirtschaftsflächen mit ihren jeweils spezifischen Standortverhältnissen – fördert ein großes Spektrum an Tierarten mit ganz speziellen Ansprüchen an ihre Lebensräume. Lebensräume, die es in der „normalen Landschaft“ nicht mehr gibt und die so in Deutschland nur noch auf Bergbauflächen vorzufinden sind. In 30 Jahren hat sich nach Meinung der Experten das Lausitzer Bergbauland so zu einem Hotspot der Biodiversität entwickelt.

Waldbodenring mit Pfeifengras und Tümpel. Vorn Waldbodenauftrag Gewöhnliches Greiskraut, Foto: Foto: Dr. Wolfgang Böhnert

Chance auf Lebensraum – aber zeitlich begrenzt

Stine Thieß, Leiterin Naturschutzmanagement bei LEAG, Foto: LEAG

Auch wenn die Hauptaufgabe der Bergleute weiterhin darin besteht, nach der Kohleförderung Land- und Forstwirtschaftsflächen für eine wirtschaftliche Nutzung herzustellen, nimmt der Naturschutz mit dem Schaffen von besonderen Lebensräumen einen ebenso wichtigen Platz in der Bergbaulandschaft ein. Gerade das Anlegen von Renaturierungsflächen, die keine spezielle Nutzung erfahren, ermöglicht ein hohes Biodiversitäts-Potenzial über längere Zeiträume. Bekannte Beispiele dafür sind das Grüne Herz im Tagebau Jänschwalde, der Naturschutzsee Hermannsdorfer See im Tagebau Nochten oder das Forschungsprojekt Hühnerwasser im Tagebau Welzow-Süd. Gefährdete oder geschützte Arten bekommen dort langfristig oder zumindest zeitweise die Chance auf einen Lebensraum.

Diese Biodiversität auf den Flächen so langfristig wie möglich zu erhalten, ist jedoch mit einem enormen Aufwand für die kommenden Jahrzehnte verbunden, macht die LEAG-Naturschutz-Expertin deutlich. „Offenlandbereiche müssen beständig gepflegt werden, damit sie von der sie umgebenden Kulturlandschaft nicht zurückgedrängt werden, bis sie wieder ganz verschwunden sind. Es ist unsere Aufgabe als Bergbauunternehmen diese Lebensräume für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu bewahren“, so Stine Thieß. „Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst, und sie wird uns bei Tagungen und anderen Anlässen von Fachleuten immer wieder deutlich gemacht. Wir sind dankbar für die Arbeit und Erkenntnisse der Gutachter. Gemeinsam wollen wir dieses Königreich der Biodiversität weiterhin schützen und erhalten.“

Der "Hermannsdorfer See" nach Flutungsbeginn, Foto: Dr. Wolfgang Böhnert

Blick der Bergleute wurde neu geschult

Für Thomas Koch haben 30 Jahre Biomanagement den Blick der Bergleute neu geschult. Der Ambivalenz des Bergbaus ist er sich jederzeit bewusst: „Der Bergbau nimmt, greift ein und verändert. Gleichzeitig gestaltet er und entwickelt neue Lebensräume. Unser Ziel sind Landschaften mit Potenzial für viele Nutzungsmöglichkeiten, ob als Wirtschaftsraum, Ort für Naturschutz oder als Raum für Erholung.“ Bis zum Jahr 2038 wird in den Lausitzer Tagebauen die Kohle gefördert, die Wiedernutzbarmachung und die Bemühungen zum Artenerhalt werden die Bergleute und die Menschen im Revier noch Jahrzehnte begleiten.

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Foto: LEAG

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Autor

Kathi Gerstner

Direkt nach meinem Studium der Kulturwissenschaften hatte ich die Möglichkeit, in vielen Bereichen der Kommunikation unseres Energieunternehmens tätig zu sein. Seit mehr als zehn Jahren gehöre ich zum Team der Pressesprecher. Dort bin ich Ansprechpartnerin für die Medien zu allen Themen der LEAG-Geschäftswelt.