06.05.2022

Es sind zwei Vorhaben, die vergleichbar sind mit einer Operation am offenen Herzen bei laufendem Betrieb. In den Tagebauen Nochten und Welzow-Süd stehen in diesem Jahr Richtungswechsel der Gerätetechnik auf dem Programm, die seit Jahren akribisch vorbereitet wurden.  Wenn Bagger, Antriebsstationen, Bandanlagen umziehen und ganze Infrastrukturen neu entstehen müssen, dann sollen die Auswirkungen auf den laufenden Tagebaubetrieb dennoch so gering wie möglich gehalten werden. Dafür arbeiten verschiedenste Bergbau-Gewerke und Servicefirmen eng verzahnt und tagebauübergreifend zusammen.

Geräte-Umzug mit Risiken

Daniel Taugs berufliche Heimat ist seit dem Jahr 2002 der sächsische Tagebau Nochten, wo er zunächst als Operativingenieur für die Oberflächenentwässerung in der Aus- und Vorrichtung tätig war, ehe er 2010 Prozesslinienleiter für den Vorschnitt wurde. Eines seiner beruflichen Highlights war im Jahr 2015 der 18 Kilometer lange Transport des Vorschnittbaggers 1571 aus dem Tagebau Nochten zum Tagebau Reichwalde. Daniel Taugs hat Geologie an der Bergakademie Freiberg studiert.

Mit sechs Metern pro Minute bewegt sich die Antriebsstation (ATS) 54 auf ihrem Raupenfahrwerk quer zum Tagebau von ihrem alten Standort auf der Kippenseite im Nord-Osten des Tagebaus Nochten zur gegenüberliegenden Süd-Westseite der Absetzerkippe. Für Daniel Taugs, Prozesslinienleiter für den Vorschnitt im Tagebau Nochten und Projektleiter für die Umstellung des Vorschnittbetriebs, ist diese Fahrt kurz vor Ostern keine Routineangelegenheit. Fährt sie oder fährt sie nicht? Diese Frage stellen er und sein Team sich, denn nachdem die Anlage zehn Jahre am gleichen Ort stand, war nicht sicher, ob der Transport reibungslos ablaufen würde.

Seit April läuft heiße Phase

Daniel Taugs fallen gleich mehrere Gründe für Verzögerungen ein. Er zählt auf, dass es während der Fahrt zu Rissen von Ketten kommen kann, dass Notstrom-Aggregate aussteigen können oder dass Fahrwerke sich nicht ansteuern lassen. Insgesamt muss die ATS fünf Kilometer auf ihrem Weg zum neuen Einsatzort zurücklegen. Begleitet wird sie dabei von verschiedenen Hilfsgeräten und einer mobilen Notstromversorgung. Die stationäre Stromversorgung wurde bereits Anfang April gekappt, dem Beginn der heißen Phase der Richtungsumstellung des Vorschnitts im Tagebau Nochten.

 

Gleich von mehreren Hilfsgeräten und einer mobilen Stromversorgung wird der fünf Kilometer lange Transport der ATS 54 begleitet, Foto: LEAG

Vom Parallelbetrieb in den Schwenkbetrieb

Ab dem Jahr 2023 wechselt der Tagebau Nochten vom Parallel- in den Schwenkbetrieb, Foto: LEAG

Grund für das 20 Millionen Euro teure Projekt ist der voranschreitende Betrieb im Tagebau, der im Jahr 2023 vom Parallelbetrieb in den Schwenkbetrieb um den Drehpunkt Süd in Nähe der Ortslage Mühlrose wechseln wird.  Ab dem Jahr 2023 schwenkt der gesamte Tagebau gegen den Uhrzeigersinn in Richtung der Ortslagen Rohne und Mulkwitz, ehe er Ende der 2020er Jahre das Sonderfeld Mühlrose in Anspruch nehmen wird. Die Vorschnittmassen, welche bislang über Bandanlagen vom Norden, an der Ostseite des Tagebaus entlang im Uhrzeigersinn in Richtung Süden abtransportiert worden sind, müssten dann immer längere Wege nehmen. Das würde nicht nur ineffizient sein, es würde vor allem mehr Immissionen für die anliegenden Randgemeinden Trebendorf und Schleife bedeuten. Daher werden ab Ende Juni, dem geplanten Zieltermin für das Projekt, die Vorschnittmassen in der entgegengesetzten Richtung von Norden, entlang der Westseite des Tagebaus in Richtung Süden abtransportiert. Damit verkürzt sich die Bandanlage von ehemals 14 auf dann acht Kilometer.

Projekt mit langen Vorlaufzeiten

Die Vorschnittmassen werden künftig südlich-westlich vom Tagebau Nochten langgeführt, Foto: LEAG

Die Planungen für dieses Großprojekt begannen bereits im Jahr 2018, das Projektteam kam erstmalig im Jahr 2020 zusammen. Vor der eigentlichen Projektphase wurde das Vorhaben schon über mehrere Maßnahmen sichtbar. So entstand im Herbst letzten Jahres auf der Westseite des Tagebaus ein 300 Meter langes Brückenbauwerk für die neu aufgebaute Bandanlage 53. Unter der aus 14 Segmenten errichteten Brücke führen Wege, Gleise und die Kohlebandanlage auf die Grubenarbeitsebene. Zudem war der Bau von zehn Kilometern neuen Wegen, unter anderem eine Schwerlasttransporttrasse für den Transport von Antriebsstationen, Bandanlagen und Schaltanlagen zur Hauptstromversorgung notwendig.

    Auch Segmente aus Bandanlagen, die bereits vor Beginn der eigentlichen Projektphase entbehrt werden konnten, wurden abgebaut und schon mal an zukünftiger Stelle aufgebaut.

      Die Bandanlage 53 führt an der Süd-West-Seite des Tagebaus entlang. Für sie wurde ein 300 Meter langes Brückenbauwerk errichtet, Foto: LEAG

      Heiße Projektphase von April bis Juni

      Aufgerollte Gurte müssen nach Transport und Aufbau der Bandanlagensegmente wieder eingezogen werden, Foto: LEAG

      Mit Beginn der Umstellung ab April galt es dann zunächst, alle Transporte und den Rückbau von Anlagen umzusetzen. Erst danach konnten die Mitarbeiter der Aus- und Vorrichtung mit dem Neuaufbau der Bandanlagen beginnen. Daniel Taugs, selbst seit 20 Jahren im Bergbau dabei, weiß um die Erfahrung und Kompetenz der Kollegen im Tagebau. „Bei Umbaumaßnahmen haben wir ein sehr hohes Niveau. Das ist ein professionelles Zusammenspiel von vielen Gewerken aus dem Tagebau mit langjähriger Erfahrung“, so Taugs. Vor allem das Aufziehen der Gurtlängen bis Anfang Juni wird eine Herausforderung für die Bergleute und die unterstützenden Service-Firmen. Rund 60 Gurtverbindungen müssen hergestellt werden, für eine Verbindung benötigt man etwa 24 Stunden. Parallel zum Umsetzen und dem Neuaufbau von Geräten und Anlagen nutzt das Team um Daniel Taugs die Zeit für Instandsetzungsmaßnahmen.

      Vorschnittbagger wird generalüberholt

      So wird der Schaufelradbagger 1510 im Vorschnitt drei Monate lang generalüberholt. „Der Bagger 1510 hat es mit schweren Böden zu tun. Vor allem der hohe Tongehalt macht der Technik zu schaffen“, erklärt Taugs. 

      Vom Bagger zum Absetzer

      Komplett-Austausch: an allen Bandanlagen werden zum Projektabschluss lärmgeminderte Rollen eingebaut sein, Foto: LEAG

      Anfang April ist der Bagger bereits eingehüllt in ein 50 Meter hohes Raumgerüst mit Lastenfahrstuhl. Alpin-begeisterte Gerüstbauer, ausgerüstet mit spezieller Sicherungstechnik, sind dafür an dieser Baustelle im Einsatz.

      Instandsetzungsarbeiten stehen auch am Absetzer 1102 an und an allen Bandanlagen werden lärmgeminderte Rollen eingebaut. Bisher, so Daniel Taugs, waren diese anteilig in den Bandanlagen verbaut, nun erfolgt der komplette Austausch. Mitte Juni soll das Projekt mit allen Funktionsproben auf seiner Zielgeraden einlaufen. Doch schon im August/September schließt sich noch eine zweite Umbauphase im Bereich des Absetzers an, der sich erst noch seine Rampe schütten muss, um den Anschluss an das alte Arbeitsniveau zu erhalten.

      Raumgerüst für die Komplexinstandsetzung am Vorschnittbagger 1510, Foto: LEAG

      Im Tagebau Welzow-Süd schwenken alle Prozesslinien

      Der berufliche Werdegang von Frank Matthes führte ihn zwischen 2009 und 2013 in die Tagebaue Nochten/Reichwalde und Jänschwalde/Cottbus-Nord, ehe er zum Tagebau Welzow-Süd wechselte, wo er zunächst für die Abraumförderbrücke F60 zuständig war. Seit 2018 ist der studierte Geotechniker mit Vertiefung Bergbau als Prozesslinienleiter für den Vorschnitt eingesetzt und aktuell zum Umbaukoordinator Drehpunktumstellung für den Tagebau Welzow-Süd berufen. In dieser Funktion ist er für die Abstimmung zwischen dem Gesamtprojekt und den Abläufen in der Produktion zuständig.

      Von links auf rechts wird derzeit auch der Tagebau Welzow-Süd gedreht, wie es Frank Matthes ausdrückt. Er ist projektverantwortlicher Umbaukoordinator für die Umstellung des Drehpunktes mit allen Prozesslinien im Welzower Tagebau - der Maßnahme, die den Tagebaukollegen in Nochten erst noch bevorsteht. Frank Matthes fasst zusammen, dass es bei dieser Umstellung um den Vorschnitt 1 und 2 geht, um die Brücken-, sowie die Grubenarbeitsebene. Sie alle ändern ihre Abbaurichtung von zuletzt Richtung Nord auf nun südliche Richtung, schwenken nun statt entgegen den Uhrzeigersinn wie bisher im Uhrzeigersinn um, um in den vorgegebenen Tagebaugrenzen zu bleiben.

      Neuer Kohleumschlagplatz geht im September in Betrieb

      Dabei wird der Tagebau den Ort seiner einstigen „Schaltzentrale“ überbaggern. Die einstige „Schaltzentrale“, die Tagesanlagen, ist samt Büros der Tagebauleitung und -planung, Markscheiderei, Feuerwehr sowie Kauen und Werkstätten der Aus- und Vorrichtung und Produktion bereits vor vier Jahren umgezogen. Bis zuletzt am alten Standort geblieben war der Kohleumschlagplatz und die Zugverladung. In gut einem halben Jahr, am 1. Dezember, wird der alte Kohleumschlagplatz außer Betrieb gehen, eine von zwei Kohleverladungen wurde bereits im Februar abgeschaltet. Am neuen Kohleumschlagplatz, der sich ganz im Süden des Tagebaus befindet, wird bereits seit Monaten gebaut. Er wird über zwei Halden und ein kombiniertes Schütt- und Entnahmegerät verfügen. Am 15. September soll er in Betrieb gehen und der erste beladene Zug die neue Verladestation verlassen. „Für eine Übergangszeit von etwa zwei Monaten werden dann noch beide Kohleverladungen in Betrieb sein. Das heißt wir fördern die Kohle aus dem Tagebau in zwei Richtungen aber bis Ende November werden die Grabenbunker auf dem alten Haldenplatz geleert sein“, sagt Frank Matthes.

      Der neue Kohleumschlagplatz mit Zugverladung geht im September dieses Jahres in Betrieb, Foto: LEAG

      Kompakte Konzentration von Infrastrukturen

      Über eine neu errichtete Brücke führt künftig die Kohlebandanlage von der Grubenarbeitsebene hinauf zum neuen Kohleumschlagplatz, Foto: LEAG

      Damit die abgebaute Kohle den neuen Kohleumschlagplatz erreicht, sind eine Vielzahl an Baumaßnahmen erforderlich. Auch in Welzow müssen die Bergleute ein Brückenbauwerk errichten, sowie mehrere neue Rampen bauen, auf denen Gleise und Straßen hinunter in den Tagebau führen. So braucht es im Tagebau Welzow für den Kohletransport künftig eine neue Bandanlage, welche die Kohle von der Grubenarbeitsebene über das Brückenbauwerk bis zum Kohleumschlagplatz führt. Die 1.100 Meter lange Bandanlage 118 ist für Frank Matthes das Herzstück vom neuen Kohleumschlagplatz. „Der gesamte neue 'Drehpunkt – Süd' stellt eine kompakte Konzentration der Infrastruktur dar, wir sparen uns damit unnötig lange Strecken“, so Matthes. 

      Belastungsprobe für neu erbaute Rampen

      Am neuen kombinierten Kipp- und Schüttgerät auf dem künftigen Kohleumschlagplatz am Tagebau Welzow-Süd wird kurz vor Ostern das Schaufelrad montiert, Foto: LEAG

      Wie im Tagebau Nochten bedeutet so eine Umstellung auch den Umzug von Geräten und Antriebsstationen. Ende Juni muss dafür im Tagebau Welzow ein dreiwöchiger Stillstand des Vorschnitts 1 und 2 in Kauf genommen werden. Am 2. und 3. Mai zog bereits der Eimerkettenbagger  348ERs710 von der Grubenarbeitsebene zum Vorschnitt 2 um. Dort soll er ab dem Jahr 2024 das drei bis vier Meter mächtige Oberkohlenflöz gewinnen. Der Transport auf der neu erbauten Rampe 1 sowie der durch den Brückenbetrieb mit Hilfe des Brückenbaggers 1308 hergestellten Rampe 2 gilt als erste Belastungsprobe. Frank Matthes hofft, dass sie standhalten.

      Altbergbaugebiet bedeutet zusätzliche Herausforderung

      Der Vorschnitt 2 und die Abraumförderbrücke mit ihren angeschlossenen Baggern arbeiten sich bereits seit vielen Monaten durch Altbergbaugebiet durch und beginnen bereits in die künftige Südausrichtung zu schwenken. Für Frank Matthes und seine Kollegen eine echte Herausforderung. „Wir finden in den Erdmassen des Altbergbaugebiets immer wieder Eisen, Beton und andere Fremdkörper, die wir herausholen müssen, bevor sie die sensible Gerätetechnik außer Gefecht setzen. Gleichzeitig sitzt uns der Termindruck im Nacken, denn die Terminkette für die gesamte Tagebauumstellung ist eng getaktet“, so Matthes.

      Alle drei Prozesslinien im Tagebau Welzow-Süd im Bild: Grubenarbeitsebene, Abraumförderbrücke und Vorschnittbetrieb, Foto: LEAG

      Synergien heben: Firmen und Gewerke arbeiten in beiden Tagebauen aufeinander abgestimmt

      Noch im August werden die letzten Großgeräte im Tagebau gefahren. Anschließend können alle Bandanlagen fertig eingezogen werden. Firmen und Gewerke arbeiten mit den Kollegen im Tagebau Nochten in enger Abstimmung, so dass die Verfügbarkeit der notwendigen Kompetenzen in dem jeweiligen Tagebau jederzeit gegeben ist. Mit akribischer Vorplanung und langjähriger Erfahrung stellen in den Tagebauen Welzow-Süd und Nochten derzeit viele helfende Hände sicher, dass eine Operation am offenen Herzen bei laufendem Betrieb trotz erheblicher Herausforderungen eine Erfolgsgeschichte wird.

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      Autor

      Kathi Gerstner

      Direkt nach meinem Studium der Kulturwissenschaften hatte ich die Möglichkeit, in vielen Bereichen der Kommunikation unseres Energieunternehmens tätig zu sein. Seit mehr als zehn Jahren gehöre ich zum Team der Pressesprecher. Dort bin ich Ansprechpartnerin für die Medien zu allen Themen der LEAG-Geschäftswelt.  

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