Einsatz für geschützte Arten

Christina Grätz gewinnt und vermehrt in der Lausitz mit ihrer Nagola Re GmbH mit Sitz in Jänschwalde gebietsheimisches Saatgut für zum Teil seltene und geschützte Pflanzen. Bei der artgerechten Entwicklung von Offenlandflächen in Bergbaufolgelandschaften ist sie seit vielen Jahren eine wertvolle Partnerin der LEAG-Rekultivierung.

Über ihre Arbeit als Ameisenumsiedlerin hat Christina Grätz gemeinsam mit Manuela Kupfer auch ein Buch geschrieben. Es heißt „Die Wunderbare Welt der Ameisen. Eine Ameisenumsiedlerin erzählt“ und ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen.  

 

Lausitzer Braunkohle liefert heute noch dringend benötigte Energie für Millionen Haushalte, für Industrie und Gewerbe. Um sie zu gewinnen, müssen mit dem Fortschreiten der Tagebaue auch Landschaft und Natur in Anspruch genommen werden. Der Tagebaubetreiber ist dabei in der Verantwortung, geschützte Tierarten im Vorfeld zu identifizieren und in geeigneten Biotopen neu anzusiedeln. Bei der Umsiedlung von Waldameisen wird die LEAG dabei seit Jahren durch die erfahrene Ameisenexpertin Christina Grätz unterstützt. 

Wer ein Ameisennest an einen anderen Standort umsetzen will, muss Frühaufsteher sein. So wie Christina Grätz, Diplom-Biologin und geprüfte Ameisenumsiedlerin aus der Lausitz. Es ist sechs Uhr morgens im Wald bei Mühlrose am Tagebau Nochten. Der Autor reibt sich noch den Schlaf aus den Augen, dabei hat die Ameisen-Expertin schon Kompromisse gemacht: „Normalerweise fangen wir schon um Fünf an, da ist es noch relativ ruhig im Ameisennest und die meisten Tiere sind noch drin“, erklärt sie. „Obwohl wir natürlich auch dann nicht alle kriegen. Im Sommer sind etwa 30 Prozent des Volkes auch nachts unterwegs.“

Hilfreich ist da, dass es am Tag zuvor und nachts stark geregnet hat, auch das hält die Ameisen erst einmal in ihrem Nest.  Etwa 20 Meter müssen wir vom Waldweg aus durch ein Wäldchen mit Birken und dichtem Blaubeer-Teppich, dann sehen wir es: ein imposantes Nest der Kahlrückigen Waldameise (die Fachfrau erkennt sie unter der Lupe an der geringen Behaarung). Es türmt sich an einem Birkenstamm gut einen halben Meter auf – Kiefernnadeln und kleine Stöckchen, von emsigen Arbeiterinnen zusammengetragen.

Früh morgens beginnt die Umsiedlung meist, um möglichst alle Ameisen in ihrem Nest anzutreffen, Foto: LEAG

Millionen-Volk mit 1000 Königinnen

Christina Grätz und Dr. Markus Zaplata sind das Team vor Ort und bereiten sich auf die Umsiedlung vor, Foto: LEAG

Aber das ist nur die Spitze des Eisberges, weiß Christina Grätz. Der größte Teil vom Nest befindet sich unter der Erde: „Das ist wie ein Überraschungsei, man weiß nie, was drin ist. Wir haben schon Nester umgesetzt, da mussten wir so tief graben, dass ich am Ende in dem Loch stehen konnte, und es war so breit, dass ich ausgestreckt darin liegen konnte. Wir hatten 2,5 Tonnen Material, das wir umsetzen mussten. Eine solche Waldameisen-Bevölkerung kann mehr als eine Million Tiere haben, davon mehr als 1000 Königinnen, von denen jede am Tag ca. 300 Eier legt.“

Da bleibt zu hoffen, dass die Anzahl der mitgebrachten Transportsäcke für die bevorstehende Umsiedlung ausreicht. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. rer. nat. Markus Zaplata beginnt Christina Grätz die dreilagigen Papiersäcke zu nummerieren. Später müssen die Beiden die Reihenfolge nachvollziehen können, in der das Material in die Säcke kam, um das Ameisennest am neuen Standort wieder aufbauen zu können. Der wird im Rekultivierungsgebiet des Tagebaus Nochten sein, des gleichen Tagebaus, der sich jetzt der Ortslage Mühlrose nähert und deshalb in genau dem Wäldchen, in dem wir jetzt stehen, künftig Platz für eine neue Brunnenriegel-Trasse zur Tagebau-Entwässerung benötigt. Alle Waldameisennester auf dieser Trasse sind kartiert und nummeriert. Dass heute die Nummer 190 an der Reihe ist, zeigt, wie viele der geschützten Völker im Vorfeld im Auftrag des Bergbaubetreibers LEAG fachmännisch umgesiedelt werden müssen. 

Um beim Wiederaufbau des Nestes die richtige Reihenfolge einzuhalten, werden die Transportsäcke nummeriert, Foto: LEAG

Schmerzhafte Schüsse aus der Hüfte

Eine Sache der inneren Ruhe: Mit bloßen Händen trägt Christina Grätz den Ameisenhügel ab, Foto: LEAG

Noch ahnen die Ameisen nicht, welch ein aufregender Tag ihnen bevorsteht. Vorsichtig hebt Christina Grätz das leichte Material von der Spitze des oberirdischen Hügels und legt es in den von ihrem Kollegen bereitgehaltenen Sack. Sie tut das ruhig und mit bloßen Händen, trotz der sofort einsetzenden Unruhe im Ameisennest. Die überraschten Tiere beginnen sich zu verteidigen, und das kann ziemlich schmerzhaft sein. Sie können die Ameisensäure mehr als zehn Zentimeter weit spritzen und sie zielen genau, quasi aus der Hüfte, denn sie schieben das Hinterteil schussbereit zwischen den Beinen hindurch, um ihr Opfer anvisieren zu können. „Das sieht total niedlich aus“, sagt Christina Grätz, die sich von den Angriffen unbeeindruckt zeigt. „Am liebsten beißen sie noch eine kleine Wunde in die Haut und spritzen da hinein, damit es so richtig weh tut.“

Die scheinbare innere Ruhe, mit der die Ameisenexpertin weiter ihre Arbeit verrichtet, gehört zu ihrer Strategie der Selbstverteidigung. Ameisen, davon ist sie überzeugt, haben ein kollektives Bewusstsein. Das könnte sie an vielen Beispielen belegen, nur eines davon ist das Verhalten in Angriffssituationen. Hat erst einmal eine Ameise die Stelle gefunden, wo sie den Angreifer besonders schmerzhaft verletzen kann, und zeigt dieser das an seiner Reaktion, dann versuchen wie auf einmal auch viele andere Ameisen, dort zuzuschlagen. „Bei mir ist der Nacken besonders empfindlich“, verrät Christina Grätz. „Am Anfang ist es mir immer wieder passiert, dass sie mich dort erwischt haben. Meine Kollegen nennen das inzwischen schon die „Grätzsche Ameisenstraße“, wenn die Tiere meinen Rücken hochwandern. Aber mit der Zeit lernt man, damit umzugehen.“

Nacktlarven in der Kinderstube

Eher selten: Nacktlarven wie hier haben keinen gesponnenen Kokon, Foto: LEAG

Derweil ist der Waldboden erreicht. Jetzt kommt der Spaten zum Einsatz. Vorsichtig dringt die Ameisen-Umsiedlerin in die Erde vor. Sack um Sack füllt sich. „Jetzt dürfen sie nicht mehr ganz soll voll werden“, erklärt Markus Zaplata. „Das Material, das wir jetzt bergen, wiegt deutlich mehr.“ Nach jeder Füllung muss er den Sack kräftig schütteln, denn die Ameisen haben natürlich das Bestreben, schnell wieder hinauszukrabbeln. Dann wird der Sack fest verschlossen und wartet darauf, mit den anderen in der richtigen Reihenfolge auf den Autoanhänger verladen zu werden. 

„Das gibt es doch nicht!“ ruft Christina Grätz plötzlich aufgeregt. Sie sitzt am Rand der Grube, die sie mittlerweile ausgehoben hat. In ihrer offenen Hand zeigt sie den Inhalt einer Ameisen-Kinderstube, die sie gerade ausgegraben hat. Aber es ist eben keine reine „Puppenstube“, wie es bei Ameisen zu erwarten wäre, sondern enthält etwas eher Seltenes: „Das sind Nacktlaven, also Puppen die keinen Gespinstkokon um sich bilden. Man kann ganz gut schon die künftige Form und die Augen erkennen. Nacktpuppen treten bei Waldameisen in unseren Breiten eigentlich extrem selten auf. Es gibt nur einen sehr alten Nachweis davon in der Literatur.

Tiefer ins Erdreich geht es mit der Schaufel. Das Material in den Säcken wiegt jetzt deutlich schwerer, Foto: LEAG

Ein Extra-Glas für Königinnen

Weiter geht es, auf der Suche nach der Königin oder, bei der Größe dieses Volkes wahrscheinlicher, den Königinnen. Bei Gefahr verbergen sie sich tief im Inneren der Gänge. „Aber hier ist eine“, sagt Christina Grätz. Sie hält sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. „Man erkennt sie daran, dass sie größer ist, als die anderen. Sie hat einen glatten, schwarzen Rücken und die Rückenpartie ist größer, weil sie für den Hochzeitsflug Flügel getragen und damit Flügelmuskulatur hatte.“ Am Ende sind es neun Königinnen, die zum Transport in ein extra Glas kommen, um nicht verloren zu gehen. Denn ohne Königin kann kein Ameisenstaat lange existieren. Er würde sterben, da nur Königinnen befruchtete Eier legen können.

Die Grube hat schließlich Ausmaße von etwa einem Meter Tiefe und anderthalb Meter Breite angenommen, da sind 100 Umzugssäcke gefüllt und verladen. Obenauf kommt, in Decken gewickelt ein Baumwurzelstumpf, der das Zentrum des Ameisennestes gebildet hat und später wieder bilden wird. Mehr geht erst mal nicht, aber Christina Grätz nimmt sich vor, am nächsten Tag noch einmal zur Nachlese herzukommen. Denn ihr Anspruch ist es, so gut wie keine Ameise zurückzulassen.  Auch die Grube muss noch gesichert werden, das heißt, es werden längere Äste so hineingelegt, dass Eidechsen oder andere kleine Tiere, die versehentlich hineinfallen, auch wieder herausklettern können.

Das Nest am neuen Standort im Schatten einer Kiefer, Foto: LEAG

Nachbarschaftsstreit vermeiden

Neuer Schauplatz, etwa zehn Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Tagebaus: In einem rekultivierten Gelände der Bergbaufolgelandschaft mit jungen Bäumen und blühendem, steppenartigen Offenland hat Christina Grätz den neuen Ansiedlungsstandort für ihr Ameisenvolk ausgewählt. Er liegt im Schatten einer größeren Kiefer. Doch bevor das neue Zuhause eingerichtet wird, heißt es erst einmal ausschwärmen. In einem Umkreis von etwa 50 Metern haben die Umsiedlungshelfer zu prüfen, ob sich hier kein anderes Waldameisennest befindet. In diesem Fall wären Nachbarschaftskonflikte zwischen den Völkern vorprogrammiert.

Aber zum Glück ist der Platz noch unbesetzt. Der Nestbau kann also beginnen. Wieder wird Erde ausgehoben, aber keine so tiefe Grube, wie am alten Standort. Sie muss lediglich groß genug sein, um die Baumwurzel – das Zentrum der „Megacity‘“ – wieder einzusetzen. Drumherum kommt das lockere Nestmaterial, das den Hügel bildet. Und der Rest des Baus? „Den graben sich die Ameisen allein“, versichert Christina Grätz. „Sie brauchen vielleicht drei Tage um sich einzurichten. Oder auch, um sich an einer anderen Stelle daneben einen ganz neuen Bau zu errichten.“ Auch das hat die Ameisenexpertin schon erlebt und ist auch hier wieder von dem kollektiven Bewusstsein der Tiere fasziniert. Während die ersten schon zielstrebig den neuen Bau, fünf Meter neben der eigentlich zugedachten Stelle beginnen, müssen die anderen, die noch auf ihre Freilassung warten, schon die Information über die Planänderung erhalten haben, obwohl sie durch die dichten Wände der Transportsäcke nicht einmal Duftstoffe von außen wahrnehmen dürften. Trotzdem halten sie sich gar nicht erst am falschen Standort auf, sondern strömen sofort zur richtigen Neubaustelle.

Das große Krabbeln: Die Waldameisen tragen die ersten Puppen in den neuen Bau, Foto: LEAG

Zucker obendrauf

Topping zum Schluss: Erst setzt Christina Grätz die Königinnen zurück, dann gibt es für das Volk Zucker als Stärkung, Foto: LEAG

Diesmal allerdings scheint die ausgewählte Stelle für das Nest auf Anhieb zu gefallen. Die ersten Puppen werden bereits in den Bau getragen. Da weiß Christina Grätz, dass sie nun auch die Königinnen freilassen kann. Vorsichtig formt sie einen Trichter auf dem Hügel, setzt eine nach der anderen von oben hinein, und flugs sind die Königinnen im Bau verschwunden.

Um den Hügel herum wird schließlich das Sandmaterial ausgebreitet und vorsichtig breitgeharkt. Würde man es einfach nur wieder in ein Loch schütten, würden die Ameisen darin ersticken. Das Material ist zu locker, um darin Gänge zu graben. Selbst auf der ausgebreiteten Sandfläche haben die Ameisen oft noch Mühe, freizukommen. Und da zeigt sich, wie ausgeprägt das Sozialverhalten eines Ameisenvolkes ist. Andere Ameisen kommen herbei und beginnen, ihre Kolleginnen auszugraben und aus der Bedrängnis zu befreien. Wer zu schwach zum Laufen ist, wird von den anderen sogar in den Bau getragen.

Keine Frage: So ein Umzug bedeutet Stress und Energieverlust für die Tiere. Darum hat Christina Grätz – als Belohnung und Energieschub – noch etwas Besonderes mitgebracht. Am Ende einer jeden Ameisenumsiedlung gibt es Streuzucker obendrauf auf das Nest. Willkommen in der neuen Heimat Rekultivierung!

 

Mehr Information

Christina Grätz siedelt nicht nur Ameisen um, sie rekultiviert für die LEAG Flächen im Tagebau Jänschwalde. Im „grünen Herz“ des Tagebaus Jänschwalde finden selten vorkommende Pflanzen und Tiere eine neue Heimat. Lesen Sie unseren Blogbeitrag Artenvielfalt auf der Tagebaukippe dazu. 

In unserem Blog finden Sie jede Menge weitere Artikel zur Rekultivierung. Erfahren Sie mehr zum Beispiel über Ausflugsmöglichkeiten, Kulturangebote sowie die Pflanzen- und Tierwelt auf der Rekufläche. 

 

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Autor

Thoralf Schirmer

Nachdem ich 20 Jahre als Lokaljournalist in der Lausitz gearbeitet habe, kam ich 2011 als Pressesprecher ins Unternehmen. Seitdem begleite ich alle Themen aus der Region zusammen mit meinem Team.