Im Jahr 2023 stammte erstmals mehr als jede zweite, ins deutsche Stromnetz eingespeiste Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien. Mit unterschiedlicher Dynamik bleiben Photovoltaik und Wind weiterhin auf Wachstumskurs. Auch LEAG ist Teil dieser Entwicklung. Bis 2030 sollen rund sieben Gigawatt EE-Leistung neu entstehen und bis 2040 noch einmal verdoppelt werden. Der Ausbau der Erneuerbaren steht damit im Zentrum unserer Zukunftsinvestitionen. Dabei ist die Frage nach einer durchgängig sicheren Versorgung mit Strom und Wärme ständiger Begleiter beim Umbau des Energiesystems. Dr. Maren Jasper-Winter leitet das Public Affairs-Team der LEAG. Sie erläutert, warum wir in Deutschland eine Kraftwerksstrategie brauchen, wo wir aktuell stehen und welchen Handlungsbedarf es noch gibt.
„Trotz hoher Ambitionen und Investitionen in Photovoltaik- und Windenergieanlagen braucht Deutschland weiterhin auch steuerbare gesicherte Stromerzeugungskapazitäten. Wir benötigen diese zum einen für die Bewältigung der viel zitierten ‚Dunkelflauten‘, das heißt der Stunden, an denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Wir benötigen diese aber auch, weil wir inzwischen durch langjährige Investitionszurückhaltung absehbar in eine ‚Kraftwerkslücke‘ hineinlaufen.“
Dr. Maren Jasper-Winter, Leiterin Public Affairs
Seit Oktober 2023 managt Dr. Maren Jasper-Winter für LEAG regulatorische Themen an der Schnittstelle zu Politik und Verbänden, Foto: Andreas Franke für LEAG
Der bestehende Stein- und Braunkohlekraftwerkspark wird durch das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz mit einem klaren rechtsverbindlichen Ausstiegsfahrplan bis Ende 2038 auf null zurückgefahren. Zugleich altern natürlich auch alle auf Erdgasbasis arbeitenden Bestandsanlagen, die – so sieht es die EU vor – bis spätestens 2045 vollständig klimaneutral Strom und Wärme produzieren müssen. „Neue Kraftwerke sind eine wichtige Voraussetzung für den Kohleausstieg und die klimafreundliche Transformation des Kraftwerksparks“, unterstreicht Maren Jasper-Winter. „Die Herausforderung ist, dass sich die notwendigen Investitionen am Strommarkt nicht refinanzieren lassen. Mit Blick auf die gesetzlichen Abschaltpläne und das Altern des Kraftwerksparks bedarf es einer ernsthaften Neujustierung des Strommarktes."
Bereitschaftsdienst für Kraftwerke
Im regulären Strommarkt wird nicht das Vorhalten von Kraftwerksleistung für den Bedarfsfall vergütet, sondern lediglich die erzeugte Strommenge. Doch diese reicht beim angestrebten Vorrang von Wind- und PV-Strom absehbar nicht aus, um Backup-Kraftwerke wirtschaftlich betreiben zu können. „Versorgungssicherheit hat ihren Preis. Sie muss uns auch im Strommarkt etwas wert sein, sonst wird sie verloren gehen“, bringt es Jasper-Winter auf den Punkt. Eine Aufgabe für Politik und Energiewirtschaft gleichermaßen, der sich die promovierte Energierechtsjuristin und langjährige Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus jetzt bei LEAG widmet.
Erste Schritte sind bereits gemacht: Die Anfang Februar 2024 von der Bundesregierung vorgestellte Kraftwerksstrategie soll Anreize für den Neubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken schaffen. Sie sieht im Kern vor, ab dem zweiten Halbjahr 2024 den Bau von zehn Gigawatt Kraftwerksleistung in vier gleichen Tranchen bis 2032 auszuschreiben. Anfänglich mit Gas betrieben, sollen die Kraftwerke ab 2035 und bis spätestens 2040 vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden. Voraussetzung dafür ist, dass ausreichende Mengen an klimaneutralem Wasserstoff vorhanden sind und der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur entsprechend zügig vorankommt. Hier ist wieder die Politik gefragt.
Versorgungssicherheit nicht auf Kante nähen
Die Kraftwerksstrategie wurde in der Energiebranche als ein wichtiger Schritt anerkannt. „Mit ihr hat die Bundesregierung den Weg aufgezeigt, um zügig die notwendige Klarheit über die politisch gewünschten Investitionen in neue, steuerbare Kapazitäten zu schaffen“, sagt Jasper-Winter. Ob die jetzt politisch vereinbarte neue Kraftwerksleistung von zehn Gigawatt, die nur für wenige hundert Stunden im Jahr eingesetzt werden soll, ausreichen wird, daran bestehen in der Branche jedoch Zweifel. Auch die LEAG-Expertin gibt zu bedenken, dass damit keine Industrie ausreichend versorgt oder die Fernwärme von Städten abgesichert werden könne. Ursprünglich war vorgesehen, dass mit der Kraftwerksstrategie rund 15 Gigawatt Kapazität ausgeschrieben werden sollten. Verschiedene energiewirtschaftliche Institute haben in den vergangenen Monaten aber auch deutlich höhere Einschätzungen des Bedarfs abgegeben.
Diskutiert wird auch, inwiefern Stromimporte zum Füllen einer Kraftwerkslücke in Deutschland beitragen können. „Auch wenn es sowohl im Interesse der Sicherheit als auch der Widerstandsfähigkeit der deutschen Stromversorgung liegt, den europäischen Binnenmarkt für Energie weiter auszubauen und die Synergien grenzüberschreitender Infrastrukturen und freien Handels zu nutzen, wäre es nicht klug, sich dauerhaft und substantiell auf die Verfügbarkeit von Stromimporten zu verlassen“, beurteilt Jasper-Winter die Situation. „Deutschland war in seiner Geschichte noch nie strukturell von Stromimporten abhängig, sondern immer dazu in der Lage, sich nicht nur im Jahressaldo, sondern auch jederzeit physisch selbst mit Strom zu versorgen. Auch wenn es in einem marktbasierten Stromsystem immer wieder zu Schwankungen im Import-Export-Saldo kommt: Diese Fähigkeit zur physischen Selbstversorgung und zum Export sollte weiter aufrechterhalten werden. Eine so kritische Infrastruktur wie die Stromversorgung sollte niemals ‚auf Kante genäht‘ sein.“
Erschlossene Standorte beschleunigen die schnelle Umsetzung
Für Jasper-Winter ist klar, dass es einen neuen Kraftwerksmix geben muss, in dem auch neue große und hocheffiziente Kraftwerksblöcke eine wichtige Rolle spielen werden. „Diese Blöcke können sehr gut an den heute noch bestehenden Kraftwerksstandorten errichtet werden, wie es bereits in den Empfehlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung stand, die 2019 den Kohleausstieg vorbereitete.“ Dem damals erzielten Verständnis nach sollten sich gerade die Braunkohlenreviere als zukünftig klimaneutrale Energiereviere neu aufstellen und damit auch eine gelungene Strukturentwicklung vorantreiben können.
Genehmigungsverfahren für H2-ready Gaskraftwerke wie hier in Schwarze Pumpe, die LEAG 2022 gestartet hat, kommen gut voran, Grafik: LEAG
Neue Kraftwerke in Vorbereitung
„Wir bereiten bei LEAG aktuell die Installation von insgesamt rund drei Gigawatt H2-ready Gaskraftwerksleistung vor. Das betrifft die drei vorhandenen Braunkohlestandorte Schwarze Pumpe, Lippendorf und Jänschwalde in Ostdeutschland sowie den süddeutschen Gaskraftwerksstandort Leipheim“, fasst Jasper-Winter die Pläne zusammen. „Dabei gehen wir mit Planungs- und Genehmigungsverfahren in Vorleistung. In der Regel dauert es von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines neuen Kraftwerks mindestens sechs Jahre. Die Zeit ist also mehr als knapp. Daher brauchen wir jetzt auch so schnell wie möglich Klarheit über die konkreten Ausschreibungskriterien und eine beihilferechtliche Verständigung mit der EU-Kommission.“
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