07.05.2018

Am 1. Oktober 2018 beginnt für den Jänschwalder Kraftwerksblock F die Sicherheitsbereitschaft. Block E muss ein Jahr später folgen. Eine Reise ohne Wiederkehr für die beiden 500-Megawatt-Blöcke, denn nach vier Jahren müssen sie endgültig stillgelegt werden. Dabei wären sie in der Lage gewesen, weitere Jahre Strom zuverlässig und preisgünstig zu liefern.  Bitter für die Kraftwerker. Dennoch haben sie technisch und organisatorisch alle Voraussetzungen geschaffen, um im Falle des Aufrufs durch die Bundesnetzagentur einspringen zu können. 

Ab diesem Jahr werden in Deutschland Stromverbrauch und gesicherte Kraftwerksleistung, die wetterunabhängig jederzeit zur Verfügung steht, nicht mehr exakt übereinstimmen. Erstmals wird national der Höchstbedarf von circa 82 Gigawatt nicht mehr über gesicherte Kraftwerkskapazitäten wie Kernenergie, Kohle, Gas und Biomasse abgedeckt werden können. Diese Situation wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Bis zum Jahr 2023 wird die Leistung aller konventionellen jederzeit verfügbaren Kraftwerke auf circa 66 Gigawatt zurückgehen. Gründe dafür sind der Atomausstieg, die zur Stilllegung bei der Bundesnetzagentur angemeldeten Kraftwerke sowie die Sicherheitsbereitschaft.

„Für die Kraftwerker war es ein bitterer Moment, als klar war, Jänschwalde muss mit 1.000 MW in die Sicherheitsbereitschaft“
Dr. Helmar Rendez

Auch das Jänschwalder Braunkohlekraftwerk der LEAG muss mit zwei seiner insgesamt sechs Blöcken in die vierjährige Bereitschaft gehen. Von jetzt 3.000 Megawatt reduziert sich die Leistung des Kraftwerkes in zwei Schritten um jeweils 500 Megawatt. Block F, der am 1. Oktober 2018 in die Reserve geht, ist noch keine 30 Jahre alt. Damit gehört dieser Block lange nicht zu den ältesten Kraftwerksblöcken in Deutschland wie der LEAG-Vorstandsvorsitzende Dr. Helmar Rendez zu bedenken gibt. „Für die Kraftwerker war es ein bitterer Moment, als klar war, Jänschwalde muss mit 1.000 MW in die Sicherheitsbereitschaft.“

Das Kraftwerk Jänschwalde gehört mit zwei Blöcken zur Sicherheitsbereitschaft, Foto: LEAG

Dem Beschluss zur Sicherheitsbereitschaft waren bereits seit dem Jahr 2014 andere Vorstöße aus dem Bundeswirtschaftsministerium vorausgegangen, die allesamt darauf abzielten, Kraftwerkskapazitäten stillzulegen, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Während diese Vorstöße auf das freiwillige und unentgeltliche Abschalten der Kapazitäten drängten, wurde mit der Sicherheitsbereitschaft eine Vergütung für die entgangenen Einnahmen sowie anfallenden Kosten vorgesehen. Insgesamt wurde die Sicherheitsbereitschaft für 2.700 Megawatt Braunkohlenkraftwerkskapazität verordnet, verteilt auf fünf Kraftwerksstandorte in ganz Deutschland. 

Sicherheitsbereitschaft als letzter Hosenträger

Ab dem Zeitpunkt der Reserve muss der Kraftwerksblock vier Jahre lang, jederzeit einsatzbereit sein. Für den Anfahrprozess sieht der Gesetzgeber ab dem ersten Aufruf durch den Netzbetreiber einen Zeitraum von 10 Tagen vor. Von der ersten Zündung bis zur vollen Leistungsfähigkeit dürfen maximal 24 Stunden vergehen.

Vorstandsvorsitzender Dr. Helmar Rendez stand im Rahmen einer Pressekonferenz Rede und Antwort, Foto: LEAG

„Die Sicherheitsbereitschaft soll der letzte Hosenträger sein, um das Netz sicher zu betreiben. Was aber passiert Ende 2023, wenn der letzte Kraftwerksblock nach der Reservezeit stillgelegt wird?“, fragen sich Dr. Helmar Rendez und seine Kraftwerkskollegen. Keiner baue im Moment Kraftwerke, dafür fehle in Deutschland die regulatorische Sicherheit. „Unser Anspruch als Energieunternehmen ist, Deutschland sicher mit Strom und Wärme zu versorgen. Damit kennen wir uns aus. Mit dem Modell der Sicherheitsbereitschaft allerdings gibt es nirgends praktische Erfahrungen. Das ist Neuland, wofür das Kraftwerk so nicht ausgelegt ist“, so Rendez. Dem pflichtet der Leiter des Kraftwerkes Andreas Thiem bei. Bislang, berichtet Thiem, gibt es für kohlegefeuerte Anlagen weltweit nur Erfahrungen mit Stillstandszeiten von maximal 80 Tagen. „Was wir hier vorhaben, ist eine echte Herausforderung, auf die wir uns seit mehr als zwei Jahren vorbereiten“, so Thiem. „Wir versetzen den Block gezwungenermaßen in einen Schlummerschlaf“.  

Frost und Rost – zwei Herausforderungen

Kraftwerksleiter Andreas Thiem im Interview, Foto: LEAG

Das größte Problem stellt sich für die Kraftwerker mit den Wintertemperaturen ein. In der Lausitz können die Temperaturen im Winter deutlich in den zweistelligen Minusbereich absacken. Dass der Aufruf genau dann käme, wäre am ehesten wahrscheinlich, da der Energie-Verbrauch in Deutschland gleichzeitig entsprechend hoch wäre. Ein gefrorener Kraftwerksblock ist aber nicht anfahrbereit und schon gar nicht innerhalb von zehn Tagen. Also müssen für diesen Fall Vorkehrungen getroffen werden. „Unser besonderes Augenmerk richtet sich daher auf die sehr komplexe und auch finanziell sehr anspruchsvolle Abdichtung und Beheizung des Kesselhauses. Dafür werden wir über 50 schrankgroße Heizlüfter mit insgesamt sieben Megawatt Leistung in den Block F stellen“, erklärt Thiem. „Das ist die simpelste Lösung“. Auch über 20 Leitungen, die außerhalb des Kesselhauses verlaufen, bekommen elektrische Begleitheizungen und Temperaturmesssysteme, um sie vor dem Zufrieren zu schützen.

Beste Mittel und Methoden gesucht 

Aber nicht nur Frost stellt ein Problem dar, auch Rost kann zur ungewollten Begleiterscheinung werden. „Wo sich Rost über zwei Jahre ungestört entwickeln darf, wird Korrosion zum anlagengefärdenden Problem. Besonders Turbinenschaufeln sind im Stillstand von Flugrost betroffen, der sich als Rostflocken auf ihnen absetzen würde und damit bei Betrieb zur Unwucht und Zerstörung führt“, erklärt Thiem. Auch hier müssen die Kraftwerker mit Trockenluftheizern arbeiten. Dazu wird die Turbine geöffnet und von warmer, trockener Luft durchströmt.

Wasser perlt von der Aminschicht einfach ab, Foto: LEAG

Auch die 400 Kilometer Rohrleitungen, die in der Kesselwand verlaufen, um Wasser in ihnen zu verdampfen, müssen vor Rost geschützt werden. „Wir sind derzeit noch mit verschiedenen Herstellern im Gespräch, um das beste Mittel für diese Problematik einzusetzen“, informiert Thiem. Vielversprechend seien organische Stickstoff-Verbindungen, sogenannte Amine, die dem Wasser der Rohrleitungen des Kessels etwa vier Wochen vor der Außer-Inbetriebnahme in sehr geringer Konzentration zugesetzt werden. „Der Anteil der Amine würde nur bei 0,0002 bis 0,0016 Prozent im Rohrleitungswasser liegen und damit aber zu einem Lotus-Effekt führen, bei dem entstehendes Kondenswasser an der Innenfläche des Rohrs abperlt“, so Thiem weiter. Erste Erfahrungen mit dieser Methode gibt es im Kraftwerk Buschhaus. Dort hat ein Rohrquerschnitt gezeigt, dass die Methode wirkt.

„Unsere Ingenieure sind teilweise schon seit 30 Jahren im Dienst. Diesem geballten Sachverstand kann man vertrauen“
Andreas Thiem

Paul Donath leitet das Projekt in Jänschwalde, Bild: Lausitz TV

Jede Woche sitzen die Techniker aus den verschiedenen Bereichen des Kraftwerkes zusammen. Kessel-, Rohr- und Pumpentechniker beraten dann über die besten Möglichkeiten. Sie alle wollen ihre Anlagenteile am besten fabrikneu halten. Thiem unterstreicht, dass er auf die Erfahrung seiner Mannschaft setze. „Unsere Ingenieure sind teilweise schon seit 30 Jahren im Dienst. Diesem geballten Sachverstand kann man vertrauen“. Alle Fäden zusammen führt allerdings einer der jüngsten Kollegen in Thiems Team. Der 25-jährige Paul Donath kam frisch von der Uni und wurde zum Projektleiter für die Umsetzung der Sicherheitsbereitschaft ernannt. Ein Vertrauensvorschuss. Ansporn und Verantwortung zugleich. Die technischen Details scheint Donath alle im Schlaf herbeibeten zu können, da steht er den Kollegen in nichts nach.

„Das Thema Personal ist das emotionalste in dem ganzen Komplex Sicherheitsbereitschaft“
Andreas Thiem

An die 30 Kraftwerker werden tagtäglich am Block im Dienst sein. Zum Vergleich bei laufenden Betrieb sind über 100 Beschäftige für einen Block zuständig. „Das Thema Personal ist das emotionalste in dem ganzen Komplex Sicherheitsbereitschaft“, muss Thiem zugeben. „Das macht keinen Spaß.“ Rund 600 Stellen werden über alle Unternehmensbereiche hinweg durch die Sicherheitsbereitschaft wegfallen. „Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen bei uns geben“, macht auch Dr. Helmar Rendez klar. „Aber wir können in den kommenden Jahren weniger jungen Menschen einen Arbeitsplatz bieten. Auch die Servicepartner, die für unsere Instandhaltung zuständig sind, werden diesen Einschnitt spüren und sicherlich ihrerseits personelle Auswirkungen haben“. Von rund 1000 indirekten Arbeitsplätzen, die davon betroffen sind, geht Rendez aus.

 

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 Lausitz TV hat einen Beitrag zur Sicherheitsbereitschaft erstellt, Material: Lausitz TV

Aktuell laufen auch die Gespräche mit dem Übertragungsnetzbetreiber, wer wen in welcher Reihenfolge im Falle des Aufrufs informiert. Der Kraftwerksleiter würde in jedem Fall zuerst informiert werden, dann der Projektleiter. Eine ganze Reihe an Maßnahmen müsste ergriffen werden. „Am wichtigsten ist es Wasser zu haben, dann Kohle, um das Wasser zu heizen. Aber auch Zuschlagsstoffe wie Kalk und Kreide müssen zusätzlich ran geholt werden“, informiert der Kraftwerksleiter. Ein Drittel mehr von allem. Das sei für die Partner nicht einfacher als für das Kraftwerk selbst. „Mit der Aufrufphase würden eine Vielzahl an Schlossern geholt werden müssen, die zum Beispiel die Pumpen entkonservieren und die Messstellen messbereit machen müssten“, so Thiem weiter. Auch sensible Teile aus Groß-Aggregaten müssten wieder eingebaut werden.

„Wir bekommen kein Geld fürs Nichtstun!“
Dr. Helmar Rendez

„Hier wirkt eindeutig die Kraftwerker-Ehre. Wir wollen sicherstellen, dass der Block läuft, wenn er gerufen wird“, bekräftigt Rendez. Dass der Block monatelang am Netz sein könnte – davon geht Dr. Helmar Rendez nicht aus. „Es ist sicher nicht gewünscht, dass wir monatelang am Netz sind. Am Ende muss aber der Netzbetreiber entscheiden. Er trägt die Verantwortung für die Netzstabilität.“ Gleichzeitig sieht Rendez eine steigende Tendenz, dass die LEAG in den nächsten drei Jahren einspringen muss. Bei alldem ist ihm vor allem wichtig zu vermitteln, dass die LEAG sich mit einem hohen Aufwand auf den Aufruf vorbereitet. „Wir bekommen kein Geld fürs Nichtstun!“, so Rendez und ergänzt: „Lasst uns die Energiewende endlich europäisch denken. Deutsche Alleingänge werden das Klima auf der Welt nicht retten können und die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährden“.

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Autor

Kathi Gerstner

Direkt nach meinem Studium der Kulturwissenschaften hatte ich die Möglichkeit, in vielen Bereichen der Kommunikation unseres Energieunternehmens tätig zu sein. Seit mehr als zehn Jahren gehöre ich zum Team der Pressesprecher. Dort bin ich Ansprechpartnerin für die Medien zu allen Themen der LEAG-Geschäftswelt.  

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