25.07.2019
CARBON

Dieser Artikel erscheint auch in der aktuellen Ausgabe unseres Unternehmensmagazins. 

CARBON stellt diesmal im Fokus Zukunftsprojekte aus der Lausitz vor. 

"Endlich losgehen soll es", sagt Robert, als er von der Schicht nach Hause kommt. Seine Eltern und Freundin Gitte, die den sieben Monate alten John im Arm hält, nicken. Sie sprechen über den Abschied von ihrem Elternhaus, von der Umsiedlung ihres Heimatdorfes, aber auch über den Neuanfang, auf den sie schon lange warten. Der Tagebau Nochten, an dessen Abbaukante die Familie seit Jahrzehnten lebt, und die dort geförderte Braunkohle, die vielen Familienmitgliedern Arbeit gab, ist für die Koitschkas weder Feind noch Freund, sondern unverklärter Lebensalltag im Revier. 

Hinter dem schweren, doppelflügeligen Hoftor ruht der fast 100 Jahre alte Vierseitenhof der Koitschkas, eine idyllische Oase am Rand des 200-Einwohner-Dorfes Mühlrose. Unter einem alten Wagenrad aalt sich Hoftiger Polly in der Sonne. "Ruhe haben wir hier, aber die Gebäude sind in die Jahre gekommen - und wir auch", schmunzelt der 68-jährige Werner Koitschka. Von mehr Wohnkomfort und Lebensqualität träumen er und seine Frau Liesbeth. Vom Hausarzt und Supermarkt um die Ecke sowie der fußläufigen Schule für die Enkel. Und davon, dass die Jungen bleiben, damit sie im Mühlroser Kegelverein, dem Spielmannzug, der Frauensportgruppe und in der Feuerwehr nicht das Licht ausmachen müssen. 

Werner und Liesbeth Koitschka auf dem Elternhof von Liesbeth in Mühlrose, Foto: Andreas Franke für LEAG

Katze Polly siedelt mit um, Foto: Andreas Franke für LEAG

Heimat mit Zukunft

Sohn Robert ist als einer der wenigen dageblieben - auch, weil er im Tagebau arbeitet, genau wie Vater Werner und Mutter Liesbeth viele Jahre vor ihrem Ruhestand selbst. Sein Job ist dem gelernten Großgeräteschlosser wichtig. Noch wichtiger ist ihm und seiner kleinen Familie aber eine echte Zukunftsperspektive in seiner Heimat. Der Umzug in sein neues Haus im fünf Kilometer weiter nördlich gelegenen Neu-Mühlrose am Rande der Gemeinde Schleife ist ein entscheidender Schritt dahin. Wo heute noch das Baufeld bereinigt wird, soll der kleine John spätestens in drei Jahren im Sandkasten sitzen. 

Katze Polly zieht mit Werner, Liesbeth, Robert, Gitte und dem kleinen John in das neue Dorf. "Meine Heimat ist da, wo meine Familie ist", sagt Robert - "und Freunde, Nachbarn, Vereinskollegen." Die heutigen Nachbarn der Koitschkas werden auch in Neu-Mühlrose über den Zaun rufen können. Die Bewahrung der ursprünglichen Verhältnisse in der Dorfgemeinschaft ist ein wichtiges Prinzip der sozialverträglichen Umsiedlung, wie sie in der Lausitz stattfindet. 

 

Die zweite Generation unter dem Dach: Robert mit Freundin Gitte und Sohn John, Foto: Andreas Franke für LEAG

Aus eins wird zwei, aus alt wird neu

Genauso wie ein finanzieller Ausgleich für den Verlust des Wohnraumes. Für Robert und seine kleine Familie ein Glücksfall, denn für das 2.200 Quadratmeter große Grundstück der Eltern erhalten beide Generationen jeweils eine halb so große "beherrschbare Scholle", wie Werner und Robert einstimmig sagen - und eine zweite Chance auf einen Neubau nach eigenen Wünschen. Die zugige Haustür und das alte Mauerwerk wird er nicht vermissen, sagt Robert pragmatisch. 

Abschied auf Raten

Von Mühlrose geht es nach Neu-Mühlrose, welches zu Schleife gehören wird, Foto: Andreas Franke für LEAG

Mutter Liesbeth zeigt verblichene Fotografien ihrer Großeltern auf dem ehemals bäuerlichen Hof, von dem heute nur noch die holzverkleideten Stallungen zeugen. Ihr Gesicht offenbart ein wenig Wehmut beim Gedanken an die baldige Abkehr vom elterlichen Hof - ihre unbeschwerte Kindheit in der ehemaligen Bauernwirtschaft, das Aufwachsen ihrer drei Söhne und die unzähligen Feiertage, an denen sich die gesame Familie mit Kind und Kegel in Mühlrose versammelt hat. Und dennoch: "Der Abschiedsschmerz ist längst der Vorfreude auf den Neuanfang gewichen, denn wir hatten viele Jahre, um uns zu verabschieden", sagt sie bestimmt und legt den Stapel Bilder beiseite. 

 

 

Hand auf's Herz - Interview mit Martin Klausch von der LEAG

Martin Klausch betreut die Umsiedlung für die LEAG, Foto: LEAG

Wird durch die Bergbautätigkeit eine Umsiedlung notwendig, verantwortet der Tagebaubetreiber den gesamten Prozess. Bei der LEAG betreut ein eigener Bereich die Betroffenen vor, während und nach dem Umzug. Martin Klausch und seine Kollegen stehen als Ansprechpartner für die Bürger von Mühlrose zur Verfügung. Wir sprachen mit ihm über seinen Job. 

Wie wird eine Umsiedlung sozialverträglich?

Jede Umsiedlung ist ein individuelles Projekt und kann nicht nach einem bestimmten Schema durchgeführt werden. Es startet immer mit einer offenen, ehrlichen Kommunikation mit den Beteiligten. Nur so können wir als Unternehmen die Beweggründe der Einzelpersonen, aber auch das gemeinschaftliche Interesse der Dorfgemeinschaft kennenlernen. Daraus erstellen wir den Projektplan: Wer siedelt mit der Gemeinschaft um? Wer nicht? Welche neuen Standorte kommen (nicht) in Frage? Welche zentralen Einrichtungen des Ortes ziehen mit um?

Wie sprechen Sie mit den Menschen über das sensible Thema?

Auch hier gibt es kein Handbuch - aber aktives Zuhören und ein permanenter intensiver Austausch sind der Kern meiner Aufgabe. Dafür bieten wir Sprechstunden, Infoveranstaltungen, Bürgerdialoge, aber bei Bedarf auch individuelle Termine an. 

Was war das bewegendste Erlebnis in Ihrem Job?

Besonders in Erinnerung bleiben wird mir der 14. Februar 2019. Als wir im Saal der Mühlroser Gaststätte verkündet haben, dass der Umsiedlungsvertrag unterschrieben wird, sind nicht nur bei den Einwohnern die Dämme gebrochen. Wir hatten trotz der unsicheren politischen Rahmenbedingungen lange darauf hingearbeitet, das Warten der Menschen zu beenden. Die erleichterten Gesichter werden mir ewig in Erinnerung bleiben. 

Themen

Teilen

Autor

Mareike Huster

Seit mehr als 15 Jahren ist das Lausitzer Revier meine Heimat – Privat und im Dienst. Themen, die bewegen - Geschichten, die erzählt und Menschen, die einfach vorgestellt werden müssen – das ist mein Job. Seit 2017 bin ich verantwortlich für die Kommunikation mit den rund 8000 Mitarbeitern der LEAG.