Laut dem Pendleratlas der Agentur für Arbeit fahren rund 39 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland in einen anderen Kreis innerhalb Deutschlands. Das sind 12,8 Millionen Menschen - Pendler innerhalb des eigenen Kreises nicht mit eingerechnet. Brandenburg wird sogar bundesweit als Pendlermeister angegeben. Kein Wunder also, dass die LEAG als einer der größten Arbeitgeber der Region ein besonderes Augenmerk auf Arbeitssicherheit legt. Der Arbeitsweg gehört da untrennbar dazu. Deshalb werden jedes Jahr gemeinsam mit dem Auto Club Europa (ACE) Schulungen zur Verkehrssicherheit angeboten.
Andreas Pfütsch begrüßt die Teilnehmer und Referenten zur Jahresaktion Verkehrssicherheit, Foto: LEAG
Nasses Laub oder Bodenfrost machen Straßen und Wege zu rutschigen Pisten. Zusätzlich sind andere Verkehrsteilnehmer durch Dunkelheit, Regen und Nebel viel schwerer zu erkennen – von Marder, Reh oder gar Wildschwein an unseren Straßenrändern ganz zu schweigen. In der dunklen Jahreszeit wird das Pendeln schnell zum Stresstest. Das Unfallrisiko steigt. Deshalb heißt es gerade im Herbst und im Winter besonders auf die Sicherheit im Straßenverkehr zu achten. Experte hierfür ist Andreas Pfütsch. Er ist seit 27 Jahren für die Verkehrssicherheit bei der LEAG zuständig und betreut auch die Arbeitssicherheit in Bergbau und Kraftwerken. Ich treffe ihn im Rahmen der Jahresaktion Verkehrssicherheit im Industriepark Schwarze Pumpe.
Jährlich finden Aktionen zur Verkehrssicherheit am Industriepark Schwarze Pumpe statt, Foto: LEAG
Gesund ans Ziel mit der „Vision Zero"
Für Pfütsch gehören eine sichere Arbeitswelt und ein sicheres Verkehrssystem einfach zusammen. Deshalb organisiert er gemeinsam mit externen Partnern wie dem ACE auch regelmäßig Aktionen zur Sicherheit im Straßenverkehr. „Dieses Jahr stand unsere Jahresaktion unter dem Motto: Wer bremst gewinnt. Das trifft auf viele Bereiche zu, mit denen wir im Alltag konfrontiert werden.“ Gemeinsam mit Berufsgenossenschaften und Verbänden verfolge man damit ein einheitliches Ziel, das sich „Vision Zero“ nennt. „Keiner kommt um. Alle kommen an“, erläutert mir Pfütsch. „Dabei geht es um die Vermeidung von Wegeunfällen. Vor allem von Tödlichen. Das ist uns ein besonderes Anliegen, denn Leben ist nicht verhandelbar. Die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie kurz BG RCI hat dazu einen lesenswerten Praxisleitfaden entwickelt: Sicherheit auf allen Wegen - 8 LEBENSRETTER für Ihren Arbeitsweg.“
Besonders viele Wildunfälle
Aktuelle Hinweise und hilfreiche Tipps aus Theorie und Praxis rund um die Verkehrssicherheit erwarten die Teilnehmer, Foto: LEAG
Ein wichtiger Ansatzpunkt für Pfütsch. „Zwar schwankt die Zahl der Wegeunfälle von Jahr zu Jahr, aber zwischen 2,5 und 3,5 Unfälle pro tausend Beschäftigte haben wir zu verzeichnen. Bei den Wildunfällen ist die Zahl sogar so hoch wie nie zuvor. Statistisch gesehen ereignet sich unter unseren Beschäftigten jeden dritten Tag einer.“ Das gelte es zu reduzieren, oder am besten ganz zu vermeiden. Eine gemeinsame Verantwortung die alle Verkehrsteilnehmer in die Pflicht nehme, weshalb Prävention und Sensibilisierung für dieses Thema so immens wichtig seien. Deshalb gehöre der Themenkomplex auch fest zur betrieblichen Arbeitssicherheit dazu.
Praxis für den Ernstfall
Teil der präventiven Arbeit ist auch das Auffrischen allgemeiner Themen wie das Vorbeugen von sogenannten „Dooring-Unfällen“. So werden Verkehrsunfälle genannt, bei denen durch das unvorsichtige Öffnen der Autotür Radfahrer in Mitleidenschaft gezogen werden. Vermieden werden kann das mit Hilfe des Holländischen Griffs. Hierbei wird die Autotür nicht mit der Hand geöffnet, die der Tür am nächsten ist, sondern mit der anderen. Ganz gleich ob man Fahrer oder Beifahrer ist. Dabei dreht sich der Oberkörper und leitet automatisch den Schulterblick ein.
"Schwere Verkehrsunfälle passieren selbst bei 0 km/h", warnt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) e.V. in seiner Broschüre "Kopf drehen, Rad Fahrende sehen!", Abbildung: DVR
Aber auch erst kürzlich aktuell gewordene Themen finden Eingang in die Informationsveranstaltung der Sicherheitsfachleute. E-Roller & Co. bringen mit ihrer Einführung im Juni 2019 ganz neue Kontroversen mit sich.
Unter Anleitung der ACE-Fachleute stehen E-Roller und Pedelecs zum Praxistest für die Kursteilnehmer bereit, Foto: LEAG
Wie verhalte ich mich im Straßenverkehr mit einem E-Tretroller richtig? Welche Verkehrsregeln gelten und wo darf ich ihn überhaupt fahren? Brauche ich einen Führerschein und muss ich einen Helm tragen? Wie reagiert so ein E-Roller überhaupt, wenn ich bremse? Und wie sieht es eigentlich mit der Versicherung aus? Alles Fragen mit denen man sich auseinandergesetzt haben sollte, egal auf welcher Seite der Lenkstange man sich befindet. Der ACE bietet dazu reichlich Informationen an, wie zu vielen verkehrsrelevanten Themen.
Kopfüber im Unfallsimulator
Experte für eines dieser speziellen Themen ist Nils Rübcke. Er betreut seit 18 Jahren den Überschlagssimulator des ACE. Der Simulator, an dem er Schulungen für alle möglichen Zielgruppen vornimmt, besteht aus einem Fahrzeug in einem Gestell, das in unterschiedlichen Winkeln bis aufs Dach gedreht werden kann. So wird das Über-Kopf-Erlebnis eines Unfalls nachgestellt. Wer sich in den Unfallssimulator wagt, lernt sich selbst, Mitfahrer und sogar Kinder sicher aus einem verunfallten Fahrzeug zu bergen. „Wer das einmal erlebt und gelernt hat, vergisst es nicht. Das bleibt abgespeichert und im Ernstfall erinnert man sich automatisch an vieles, was man hier gelernt hat. Etliche nutzen die Möglichkeit, wenn wir vor Ort sind und frischen ihr Wissen regelmäßig wieder auf“, sagt Rübcke.
Rübcke erklärt, worauf es bei der Befreiung aus so einer Situation ankommt. Ruhe bewahren, mit Beinen und Armen in den Sitz drücken und dann vorsichtig abschnallen, Foto: LEAG
Eine Teilnehmerin sei ihm besonders im Gedächtnis geblieben. „Eine Frau mittleren Alters, ein richtiges Original mit hohen Schuhen und auffällig gemustertem Rock“, erinnert sich der Trainer. „Sie wollte die Übungen immer wieder durchlaufen. Und das hat sie sooft hintereinander getan, bis sie alles aus dem Effeff konnte. Aber jetzt kommt’s! Nur wenige Monate später hatte sie wirklich einen Unfall, bei dem sie sich überschlagen hat. Als hätte sie es geahnt. Sie konnte alles, was wir ihr beigebracht haben, abrufen und anwenden. Das hat sie mir später erzählt und mir gedankt.“ Rübcke verschränkt die Arme und nickt. „Da weiß man dann, wofür man das macht.“
Übung macht den Meister
Marcel Derno arbeitet im Tagebau Jänschwalde in der Produktion. Er ist zum ersten Mal bei der Jahresaktion zur Verkehrssicherheit dabei. Als er den Überschlagssimulator besteigt, ist das eine Premiere, aber die Situation ist für ihn leider nicht neu. Ihm sei das besonders wichtig, weil er sich selbst schon mit seinem Fahrzeug überschlagen habe, erzählt er. „Man sollte das Gefühl kennen, um reagieren zu können und nicht in eine Schockstarre zu verfallen“, ist sich Derno sicher.
Verunfallte Personen zu bergen, ist eine Sache der Übung. Auch die Rettung eines Kleinkinds aus einem Kindersitz wird hier trainiert, Foto: LEAG
Dieses Reagieren-Können ist ein wichtiger Teil des präventiven Angebots des ACE. Deshalb rät der Club nicht nur zum Training im Überschlagssimulator, sondern auch zu Fahrsicherheitstrainings, um gefährliche Situationen besser einschätzen zu können. Ob mit dem Motorrad, dem PKW, LKW oder sogar Pedelec – die Sicherheitstrainings sind für viele Fortbewegungsmittel konzipiert. Besonders hilfreich: Da man mit seinem eigenen Fahrzeug risikolos und unter professioneller Anleitung trainiert, wächst das Feingefühl für das täglich genutzte Mobil. Denn darauf kommt es am Ende nicht nur in der dunklen Jahreszeit im Straßenverkehr an: Gefahren und Risiken (er-)kennen, richtig einschätzen und besonnen darauf reagieren. Damit die „Vision Zero“ vielleicht irgendwann in greifbare Nähe rückt.