Die Zukunft der Energieversorgung ist eine der größten, globalen Herausforderungen unserer Zeit. Eine Mammutaufgabe, die keine Landesgrenze kennt und neue Wege einfordert. Die Speicherung von erneuerbar erzeugtem Strom im großen Maßstab nimmt dabei eine Schlüsselrolle für das Gelingen der Energiewende ein. Aus diesem Grund soll am LEAG-Standort Boxberg ein Redox-Flow-Batterie-Großspeicherprojekt mit 50 Megawatt (MW) Leistung und 500 Megawattstunden (MWh) Speicherkapazität entstehen – zusammen mit dem internationalen Projektpartner ESS Tech Inc. Rajat Sharma und Peter Tetzlaff besuchten als Ingenieurteam den amerikanischen Spezialisten für Langzeit-Speicher in Oregon, um über Konzeptplanung und Möglichkeiten der Zusammenarbeit ins Gespräch zu kommen.
Partner der Wahl: ESS Tech Inc, Hauptsitz: Wilsonville, Oregon, Vereinigte Staaten, Foto: LEAG
„Der Hauptgrund für unsere Reise nach Oregon war tatsächlich die Zeitverschiebung“, erklärt mir Tetzlaff, als ich den Ingenieur bei unserem Treffen frage, wie es eigentlich zu der Einladung nach Oregon gekommen ist. In Deutschland sind wir den amerikanischen Kollegen neun Stunden voraus und die Abstimmungen seien so umfangreich, dass eine Stunde am Tag dafür einfach nicht ausreiche, erfahre ich.
„Die ESS übernimmt in unserem Redox-Flow-Projekt federführend die Konzeptplanung und produziert zudem Hauptkomponenten für die angedachte Anlage“, sagt er. „Mittels eines mehrstufigen Auswahlverfahrens wurden viele verschiedene Punkte wie Technologie-Reifegrad, Produktqualität, Referenzen, technische Voraussetzungen, Qualifizierung und dergleichen geprüft. ESS tat sich hervor und konnte sich am Ende gegen konkurrierende Firmen durchsetzen. So sind wir Partner geworden.“ Als Tetzlaffs Kollege Sharma Anfang August 2023 ins LEAG-Team wechselt, ist der Auswahlprozess bereits abgeschlossen.
Endlich können sich die beiden Projektteams in Oregon live gegenübertreten und austauschen. Ein großer Schritt für die internationale Zusammenarbeit. Peter Tetzlaff (4. v.l.), David Beauhaire (ESS, 3. v.r.), Rajat Sharma (2. v.r.), Foto: LEAG
Gemeinsame Planungsarbeiten in Oregon
Rajat Sharma am Haupteingang der ESS-Zentrale, Foto: LEAG
„ESS baut zum ersten Mal Komponenten für Europa, das ist ein Novum und es gibt viele Unterschiede zu amerikanischen Standards zu beachten, damit es nicht zu Schnittstellenproblemen kommt“, erläutert Sharma.
„Aufgrund des engen Zeitplanes haben uns ab einem gewissen Punkt die kurzen Video-Termine mit den ESS-Ingenieuren nicht mehr weitergebracht. Wir mussten uns den Produktionsstandort anschauen und uns einfach zusammen an einen Tisch setzen, um wichtige Punkte durchzuarbeiten, die unsere gemeinsame Projektplanung voranbringt. So kam es zu dem Vorschlag, nach Oregon zu fliegen, den wir gerne angenommen haben“, so Sharma.
Auf Besichtigungstour durch die amerikanische Fabrik führt Werksleiter Vince Canino die LEAG-Ingenieure durch die Produktionshallen, Foto: LEAG
„Unsere Reise zur ESS-Zentrale war vom 6. bis zum 13. Januar 2024 geplant. Das heißt: fünf volle Tage, in denen ein Marathon-Programm auf uns zukam. Täglich Termine, in denen wir die verschiedenen Abteilungen der ESS kennengelernt und unterschiedlichste, für unser Vorhaben wichtige Aspekte besprechen konnten, wie Anlagenlayout, Schnittstellen, Lieferkettenkoordinierung oder Qualitätssicherung. Gleich am ersten Tag haben sich Projektleiter David Beauhaire und Werksleiter der ESS Vince Canino die Zeit genommen, uns durch eine Factory Tour zu führen, damit wir die Anlagen kennenlernen und sehen, wo die Batterie-Stacks in vollautomatischer Fertigung für unser Projekt hergestellt werden sollen“, beschreibt Sharma seine Eindrücke und zeigt mir den überquellenden Terminkalender, den die beiden LEAG-Kollegen während ihres Aufenthaltes absolviert haben.
Internationales Teamwork
Zeit für Fachgespräche mit ESS-Projektleiter David Beauhaire, Foto: LEAG
Die Zusammenarbeit, so sind sich beide einig, kommt in diesen Tagen wirklich voran. Aber es sind nicht nur die technischen Gegebenheiten vor Ort, die sie bei ihrer Exkursion besser verstehen lernen.
„Man darf nicht unterschätzen, wie wertvoll das Kennenlernen der Menschen für unsere Kooperation ist. Unsere ESS-Partner haben dabei auch gelernt, uns zu verstehen. Sie wissen jetzt, worauf wir Wert legen und was uns für das gemeinsame Projekt wichtig ist. Das Arbeiten ist ein ganz anderes, wenn man sich persönlich kennt und schon zusammen Mittag gegessen hat“, sagt Tetzlaff und lobt die Gastfreundlichkeit der Amerikaner, die den deutschen Gästen nach Dienstschluss Portland und seine Restaurants nähergebracht haben.
Ein Stück amerikanische Kultur, Foto: LEAG
Auch wenn kulinarisch einiges anders ist, als in Deutschland. Der süße Kaffee, die großen Portionen und dass alle Getränke mit Eis serviert werden, sei Sharma am meisten im Gedächtnis geblieben, sagt er lachend.
Die beiden Ingenieure ließen es sich zudem nicht nehmen, einen Trip durch die landschaftlich schöne Waldregion an die Pazifikküste zu unternehmen, die von ihrem Hotel aus nur eine knappe Stunde entfernt lag. Sogar ins eisige Wasser haben sie sich getraut – wenn auch nur ein paar Schritte. Am Ende ihrer Reise durchkreuzte dann ein Blizzard ihre Heimreisepläne, sodass Tetzlaff und Sharma mit einem Tag Verspätung wieder in Deutschland landeten.
Ihr Fazit: Für die Konzeptplanungsphase, in der sich das LEAG-Vorhaben befindet, war dieser Besuch Gold wert. Um einen neuen Partner kennen und einschätzen zu lernen und vor allem, um auf Arbeitsebene zusammenzuwachsen.
Im Sommer, so verraten mir die beiden zum Schluss noch, steht der Gegenbesuch ins Haus. Das Projektteam der ESS wird den deutschen Standort in Boxberg besuchen und unter Garantie ebenfalls mit offenen Armen empfangen werden.
So viel Zeit muss sein! Rajat Sharma und Peter Tetzlaff lassen sich den Ausblick auf die Pazifikküste trotz ihres vollen Terminkalenders nicht entgehen, Foto: LEAG