20.07.2023

Im Mai 2021 startete auf etwa einem Hektar am Tagebau Reichwalde ein Feld-Versuch im Rahmen des EU-Folgeprojektes Miscomar+ - Miscanthus für kontaminiertes und marginales Land“. Während eines Feldtages vor Ort wurde nun eine erste Zwischenbilanz gezogen. Das Ergebnis: Miscanthus, auch Chinagras, Riesenschilfgras oder Elefantengras genannt, kann sich offenbar auch auf den nährstoffarmen Böden der Bergbaufolgelandschaften und unter den von Hitze- und Trockenphasen geprägten Lausitzer Klimabedingungen gut entwickeln, Erträge bringen und als Nährstoff-Selbstversorger sogar dabei helfen kann, Kippenböden für eine landwirtschaftliche Nutzung zu entwickeln.  

Gut zwei Jahre nach Beginn des Versuches steht Uwe Kühn, Geschäftsführer der Technical Service Kühn GmbH aus dem Oberlausitzer Goeda wieder im Feld am Tagebaurand von Reichwalde. Der Miscanthus Giganteus, den er damals gemeinsam mit einigen Helfern gepflanzt hat, überragt ihn jetzt deutlich. Bis zu zwei Meter hoch ist es aufgewachsen. „Das ist eigentlich noch gar nichts“, sagt Uwe Kühn. „Auf meinen anderen Feldern wächst Miscanthus bis zu vier Meter hoch. Aber für die Bodenbedingungen hier ist das nach zwei Jahren schon ein ganz gutes Ergebnis.“

Feldtag vor Ort auf der Rekultivierung: Wissenschaft trifft Praxis, Foto: LEAG

Exotisches Schilfgras als Bodenverbesserer

Experte für Miscanthus-Anbau: Uwe Kühn zeigt sich zufrieden mit dem Aufwuchserfolg nach den ersten zwei Jahren, Foto: LEAG

Tatsächlich haben sich Uwe Kühn und die Wissenschaftler der Uni Hohenheim, Fachbereich „Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie“, für diesen Teil des Miscanthus-Projektes bewusst einen sogenannten marginalen Boden herausgesucht. Er ist wenig nährstoffreiche und entspricht dem Kippsubstrat der Tagebau-Rekultivierung, also dem, was im ersten Vorschnitt abgegraben und für die Wiederherstellung der Bergbaufolgeflächen wieder aufgetragen wird.

Man kann diesen Boden durch Kalken und Düngen weiter aufwerten, und ihn später durch eine geeignete Fruchtfolge als Ackerfläche entwickeln. Hier aber wurde bewusst darauf verzichtet. Der Miscanthus selbst soll den Job des Bodenverbesserers übernehmen. Dass er dafür geeignet ist, und wie gut er mit marginalen Böden wie den nachbergbaulichen zurechtkommt und mit einem im Sommer von Hitze und Trockenheit dominierten Klima, das soll das exotische Schilfgras an diesem Ort Beweis stellen.

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Lausitz TV hat den Feldtag besucht und einen Bericht erstellt, via youtube.

In Asien gesammelt, in Europa gekreuzt und gezüchtet

Dr. Andreas Kiesel und sein Team von der Uni Hohenheim erforschen Miscanthus für die Verbesserung marginaler Böden, Foto: LEAG

Bislang tut es das erfolgreich. Das Feld zeigt sich heute als grünes Schilffeld, mal dichter und höher bewachsen, mal niedriger und dünner. Dr. Andreas Kiesel von der Uni Hohenheim erklärt, warum das so ist: „Zum einen ist der Boden hier sehr heterogen. Er bietet nicht überall die gleichen Bedingungen, zum anderen testen wir hier auch verschiedene Sorten und Anwuchsmethoden. Der Anbau unter Folien, um die Feuchtigkeit zu halten, hat sich hier offenbar nicht bewährt. Anderswo haben wir damit bessere Erfolge erzielt. Aber das ist auch der Sinn des Projektes, herauszufinden, welche Sorten und welche Anbaumethoden sich für diese spezielle Art Boden und dieses Klima eignen.“

17 Jahre lang hat sich Prof. John Clifton-Brown sich mit der Selektion, Kreuzung und Vermehrung besonders anspruchsarmer und doch ertragreicher Miscanthus-Sorten beschäftigt, Foto: LEAG

Prof. John Clifton-Brown, derzeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Fachbereich Landwirtschaft tätig, beobachtet den Wachstumsfortschritt ebenfalls sehr interessiert. Er hat 17 Jahre lang in Wales am Miscanthus geforscht. Er ist durch Asien gereist, hat von verschiedenen Standorten Wildsorten des Schilfgrases gesammelt und sie so miteinander gekreuzt und vermehrt, dass möglichst ertragreiche, möglichst widerstandsfähige und an das mittel- und nordeuropäische Klima angepasste Sorten entstanden. Von ihm stammen die Setzlinge, die im Mail 2021 von Mitarbeitern der Universität Hohenheim auf der Versuchsfläche unmittelbar neben der Anbaufläche von Uwe Kühn gepflanzt haben. „Wenn man überlegt, dass dieser Boden eigentlich kein Boden ist, sondern ein Substrat, dann ist der Einsatz von Miscanthus hier schon richtig. Er bringt Leben in den Boden. In zwanzig Jahren könnte das hier als Ackerboden genutzt werden.“

Fachgespräche im Feld: LEAG-Chef-Geotechniker Dr. Thomas Koch, Prof. John Clifton-Brown von der Uni Gießen und Eva Lewin von der Uni Hohenheim erörtern die Chancen für den Einsatz von Miscanthus im Lausitzer Revier, Foto: LEAG

Anspruchsarme Pflanze mit hohem Stickstoffgehalt

Miscanthusanbau in der Rekultivierung, Foto: LEAG

Der Vorteil, den Miscanthus für die Bodenverbesserung bringt, ist sein hoher Stickstoffgehalt, der ähnlich dem von Mais oder Zuckerrohr ist. Lässt man die Pflanze, deren oberer Teil jährlich von selbst abstirbt, einfach unberührt. dient sie als eigener Dünger, reichert so Jahr für Jahr den Boden entsprechend an und dient der Humusbildung. Dabei muss man nur einmal pflanzen hat keine Kosten für Düngung und kann nach der entsprechenden Entwicklungszeit Jahrzehnte lang ernten. „Ich kenne Landwirte, die ernten schon seit 40 Jahren vom selben Feld“, sagt Uwe Kühn, der für den Miscanthus-Anbau als nachhaltige Alternative, zum Beispiel zum Mais wirbt, aber auch hinzufügt. „Wir wollen ganz sicher keine neue Monokultur etablieren, aber wir wollen, dass das große Potential von Miscanthus besser genutzt wird.“

Zwar lässt sich das Schilfgras auch als Biomasse zur Energiegewinnung einsetzen, aber dafür, da sind sich die Teilnehmer des Feldtages einig, ist es viel zu schade. Denn es gibt zahlreiche andere nachhaltige Anwendungsmöglichkeiten, an deren Verwertungsketten-Ende immer noch eine energetische Nutzung möglich wäre: in der Papierindustrie zum Beispiel, bei Verpackungsmaterial, für Teile in der Automobilindustrie oder als Baumaterial für ökologisches, nachhaltiges Bauen.

Die Produktpalette aus Miscanthus ist vielfältig, wie hier zu sehen, Foto: LEAG

Baustoff-Produktion in Bautzen geplant

Claudia Miersch und Jens Weigelt von der Hentschke Bau GmbH präsentieren Baustoffe aus Miscanthus, die am Unternehmensstandort in Bautzen in Serie gehen könnten, Foto: LEAG

Als Prototyp existieren solche Baustoffe bereits, die einmal beispielsweise Gipskartonwände im Trockenbau ersetzen könnten. Hergestellt sind sie in der Entwicklungs- und Forschungsabteilung von Hentschke Bau. Das Unternehmen hat Standorte in Dresden, Erfurt und Bautzen und stellt sich und sein Konzept beim Feldtag vor. In Bautzen, so berichten Claudia Miersch und Jens Weigelt, will Hentschke Bau in den nächsten Jahren eine Produktionsstrecke mit einer Kapazität von zunächst 250.000 Quadratmeter der biologischen und kreislauffähigen Platten aus Miscanthus herstellen und der Baubranche damit eine Alternative zu Kunstfaserprodukten anbieten. Da das Schilfgras – übrigens auch eine Alternative heimischen Schilf für mit Reet gedeckte Hausdächer – auch große Mengen an CO2 aufnehmen kann, ist es seine Nutzung außerdem ein wesentlicher Faktor für klimaneutrales, ja künftig vielleicht sogar für CO2-positives Bauen.

Allerdings ist das Angebot an Miscanthus auf dem Markt bislang nicht ausreichend, um ausreichend Ausgangsmaterial für solche Pläne zur Verfügung zu stellen. Es kommt jetzt darauf an, Lausitzer Landwirte dafür zu gewinnen, die auch in den Miscanthus-Anbau einsteigen. Auch die LEAG behält sich das nach Abschluss und Auswertung des Reichwalder Versuches als eine Option für die Entwicklung von Kippenböden in der Bergbaufolgelandschaft vor. „Wir haben allein im vergangenen Jahr 270 Hektar Flächen rekultiviert, unter nicht einfachen Bedingungen in einer relativ niederschlagsarmen Region“, bilanziert Dr. Thomas Koch, Leiter Geotechnik bei der LEAG. „Wenn es sich zeigt, dass Pflanzen wie Miscanthus mit dieser Situation klarkommen und dann auch noch nachhaltig sind, dann ist das eine wunderbare Sache.“

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Autor

Thoralf Schirmer

Nachdem ich 20 Jahre als Lokaljournalist in der Lausitz gearbeitet habe, kam ich 2011 als Pressesprecher ins Unternehmen. Seitdem begleite ich alle Themen aus der Region zusammen mit meinem Team.

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