Es geht um nicht weniger als um den Weg in die Zukunft – die Zukunft der Lausitz. Und dieser soll auch noch gemeinsam gegangen werden. So will es zumindest die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Ekbo). Um möglichst viele Menschen der Region für diesen Weg zu gewinnen, hat sie am 4. Juli zum 1. Lausitz-Kirchentag nach Cottbus geladen.
Natürlich verbindet die Ekbo mit einem solchen Kirchentag „in großer Gemeinschaft ein Fest des Glaubens zu feiern“. Und weil die Menschen zumeist auch recht weltliche Dinge bewegen, geht es auch darum „miteinander über brennende Fragen unserer Zeit ins Gespräch zu kommen“. Dass die Braunkohle zu diesen brennenden Fragen gehört, wird deutlich, noch bevor der Kirchentag offiziell eröffnet ist.
Martin L. und 95 Thesen
Schauplatz Oberkirche. Mächtig erhebt sich der Backsteinbau in den strahlend blauen Himmel. Rings herum das für einen Samstagvormittag übliche Markttreiben. Plötzlich nähert sich ein Mann dem Hauptportal. Ihn schmückt ein langer, ausladender Mantel. In der Hand hält er eine Papierrolle. Als er sich den Menschen zuwendet, entschlüsselt sich nach und nach die Szenerie.
M.L. alias Martin Lausitz stellt seine 95 Thesen auf dem Kirchentag vor, Foto: LEAG
Aus Liebe zur Wahrheit und im Verlangen, sie allen zugänglich zu machen, und auch aus Liebe zur Lausitzer Heimat, sollen die folgenden Thesen in der Lausitz und darüber hinaus zur Diskussion und zum Nachdenken anregen“, ruft er über den Platz. Passanten wenden sich ihm zu, gleichermaßen verwundert wie neugierig. Als M. L. alias Martin Lausitz stellt er sich den Menschen vor und bittet alle, sich in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Dann entrollt er das Papier, zückt einen Hammer und schlägt es ans Portal des Gotteshauses. Auf dem Papier stehen 95 Thesen.
Initiator dieser Vor-Eröffnung des Lausitz-Kirchentages ist der Verein Pro Lausitzer Braunkohle. Wichtigster Akteur ist Martin Schüler, der Intendant des Cottbuser Staatstheaters, der überzeugend den Martin Lausitz gibt. Begleitet wird er von Menschen in Bergmannskitteln, die im weiteren Verlauf die 95 Thesen als Faltblatt an Kirchentagsbesucher verteilen.
800 Christen beim Eröffnungsgottesdienst
Szenenwechsel: Wenige hundert Meter entfernt in der Stadthalle begrüßt Generalsuperintendent Martin Herche rund 800 Menschen zum Eröffnungsgottesdienst. Ihn umrahmen eine Band, ein Orchester, ein großer Chor. An seiner Seite: Geistliche, die die gemeinsame Feier in Wendisch, in Sorbisch und in Englisch den Gästen anderer Muttersprachen nahe bringen.
Eröffnungsgottesdienst zum ersten Lausitzer Kirchentag, Foto: LEAG
Der Gottesdienst setzt um, was im Vorfeld angekündigt war. Er ist nicht nur Feier des Glaubens, sondern auch ein Intro für die Themen und Herausforderungen der Region. „Wir bringen in diesen Gottesdienst mit, was uns bewegt“, sagt Herche. Damit gibt er das Stichwort für unterschiedlichste Menschen, die ihre Gedanken vortragen und diese als große bunte Kreise an den Altar bringen.
Ein Welzower trägt seinen Dank für viele treue und engagierte Bürger vor. Die Kohle spalte die Menschen, erinnert er und bittet, dass daraus keine Feindschaften werden, sondern „der Andere stets Nächster und Mitmensch bleibt“. Ein anderer erinnert an den schönen Senftenberger See und nennt es „beeindruckend, was Menschenhand in Gottes guter Natur bewerkstelligt“. Gleichwohl sorge er sich um das Wasser. Ein Energiearbeiter aus Schleife bringt das Thema Dörfer zum Altar. Er fragt sich, was aus ihnen werden soll, wenn es keine Arbeit mehr gibt. „Wer wird dann unsere Bräuche mit Zukunft und Leben erfüllen?“ Den Punkt zur Wissenschaft trägt BTU-Präsident Prof. Jörg Steinbach vor. Ihm geht es um Wissen und Verantwortung. Weitere Menschen widmen sich Fragen der Ernährung oder der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Schließlich ergeben all diese Punkte zusammengesetzt das Kreuz, das sich hoch hinter dem Altar erhebt.
Trotz 37 Grad Hitze nutzen die Teilnehmer das Informationsangebot, Foto: LEAG
In der Glut der Mittagshitze haben unterdessen die Betreuer ihre jeweiligen Stände bezogen. Auch hier spiegeln sich die Kontroversen. „Wir sind kein Abraum“, steht groß auf der Rückwand des Standes der Dörfer, deren Umsiedlung durch den Tagebau Jänschwalde-Nord droht. Gleich nebenan wiederum prangt ein großes „Nein“ zur Eisenhydroxidverspülung im Altdöberner See. Zwischen Kohlebefürwortern und -gegnern brachte sich auch Vattenfall mit einem Präsentationsstand als Dialogpartner in den Kirchentag ein. Während die Eltern dort viel Wissenswertes rund um das Thema Wiedernutzbarmachung der Landschaft nach dem Bergbau – der sogenannten Rekultivierung – erfahren konnten, bemalten die Kinder Vogelhäuschen in Regenbogenfarben. Pflanzensamen aus der Bergbaufolgelandschaft wurden zum beliebten Mitbringsel für den heimischen Garten. Im Cottbusser Familienhaus ermuntern Arbeitnehmervertreter der Energiewirtschaft zum Nachdenken darüber, wie es wäre wenn der Strom mal nicht aus der Steckdose kommt.
Debatte: Ideen für die Braunkohlenregion
Auch der LEAG-Vorgänger Vattenfall war mit einem Stand vor Ort, Foto: LEAG
Die inhaltlichen Auseinandersetzungen werden dann in der rettenden Kühle von Schulgebäuden oder anderen schützenden Gemäuern in Themenforen auf den Punkt gebracht. Mal suchen die Teilnehmer Ideen für die Kirchengemeinden, für das Zusammenleben mit Flüchtlingen, für die Nachbarschaft mit Polen.
Eines der sechs Foren lenkt den Blick auf „Ideen für die Braunkohlenregion“. Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber ist dafür nach Cottbus gereist ebenso wie die grüne Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky und Wirtschaftsprofessor Christian von Hirschhausen von der TU Berlin. Für die Ekbo nimmt Landesbischof Markus Dröge an der Diskussion teil. Als echter Lausitzer komplettiert Rüdiger Siebers, Betriebsratschef der Bergbausparte von Vattenfall die Runde, die rbb-Programmdirektorin Claudia Nothelle moderiert.
Forum zur Zukunft der Braunkohle, Foto: LEAG
Natürlich hört man vieles nicht zum ersten Mal. Doch gibt es Aspekte, die aufhorchen lassen. So lobt Kohlekritiker von Hirschhausen den Strukturwandel in der Lausitz seit der Wende. Dieser sei „ein Bombenerfolg“ gewesen. Auch für die Zukunft zeigt er sich zuversichtlich, wenngleich seiner Ansicht nach die Braunkohle dabei keine besondere Rolle mehr spiele.
Minister Gerber erinnert an die Bedeutung industrieller Kerne und warnt davor, „nicht ohne Not und nicht zu früh die Klappe zuzumachen“. Ihm geht es um die konsequente Weiterführung des Strukturwandels mit der Braunkohle. Dabei stellt er sich der Verantwortung des Landes, sieht aber auch die Region in der Pflicht. Am besten ließen sich vor Ort die Ideen und Perspektiven entwickeln.
Strukturwandel als Dauerzustand
„Keiner will sofort raus aus der Kohle“, versucht Landtagsabgeordnete Schinowsky die Position der Grünen zu präzisieren. Nicht mal das Tempo des Ausstiegs sei der Unterschied, überrascht sie das Publikum. Sie ärgere vor allem die „Tonlage“, die Androhung, dass ohne die Kohle alles zusammenbreche.
Dass zumindest vieles zusammenbricht, wenn die heimische Braunkohle schnell der Garaus gemacht würde, hält Rüdiger Siebers dennoch für traurige Realität. Daher sei er gegen weitere einseitige Belastungen des Energieträgers. Zudem sieht er eine Zukunft in der Braunkohle nicht ausschließlich für die Verstromung sondern auch für die stoffliche Nutzung.
Ein weiteres Podium bieten die Thementische, Foto: LEAG
Bischof Dröge lässt keinen Zweifel daran, dass die Kirche in den vergangenen Jahren immer klarer Position gegen den Braunkohlenbergbau bezogen hat. Er beschreibt einerseits den schmalen Grat, auf dem die Kirche zwischen den Ansprüchen von Umsiedlern aber auch von Beschäftigten in der Bergbauregion unterwegs ist. Andererseits nennt er als „Hauptanliegen, die Menschen im Gespräch zu halten“. Die Menschen immerhin seien die wichtigste Ressource der Region. Schließlich macht Dröge eine Forderung auf, die durchaus mehrheitsfähig ist. „Lasst die Lausitz nicht allein“, wendet er sich an die Politik und meint damit nicht nur die Landesebene. Auch die Bundespolitik sei gefordert.
An mehr als 50 Thementischen werden die Kirchentagsschwerpunkte in der Oberkirche weiter vertieft. Die Stimmung bleibt konstruktiv und zugewandt. Wer die Hitze des Tages überstanden hat, kommt noch einmal in der Stadthalle zum Abschlussgottesdienst zusammen. Zusätzlich zu den vielen Eindrücken und Gedanken gibt es hier schließlich noch den Reisesegen für den Nachhauseweg.
Der Beitrag erschien zuerst im Vattenfall Blog.