22.07.2015
Klaus Enders
Klaus Enders

Ich bin schon seit 1972 im Unternehmen, damals hieß es jedoch noch VE (Volkseigenes) Kombinat Braunkohlenkraftwerke. Nach dem Studium der Kraftwerkstechnik begann ich meine Laufbahn im Kraftwerk Boxberg, kam später nach Jänschwalde. Hier steuerte ich auf Vattenfall-Seite im Bereich Technischer Service das Projekt „Ölfreie Dampfturbine“ und koordiniere alle Arbeiten im Kraftwerk dazu. 

Eine neue Turbinen-Generation feiert im Kraftwerk Jänschwalde Weltpremiere. Die Innovation: Der Rotor schwebt in einem ölfreien Magnetlager.

Nein, zur Zubereitung von Lebensmitteln wird diese glänzende Turbine nicht benötigt. Die Bezeichnung „Speisepumpenantriebsturbine“ (SPAT) klingt nur für Laien nach Kulinarischem. Vielmehr geht es um die Stromversorgung. Experten erkennen die Besonderheit dieser Turbine in der Ergänzung „aktiv magnetgelagert“. Denn eine magnetgelagerte Turbine kann auf Öl verzichten – und das hat große Vorteile, wie Vattenfall-Projektleiter Klaus Enders erklärt. Mitte April wurde die weltweit erste ölfreie Dampfturbine im Kraftwerk Jänschwalde offiziell von Siemens an Vattenfall übergeben und in Betrieb genommen. „Anders als bei einem üblicherweise im Ölfilm gelagerten Rotor, schwebt bei einer ölfreien Turbine der Rotor in einem Magnetlager“, sagt Enders. Bei aktiven Magnetlagern, so der Experte, werde die Lagerkraft durch geregelte Elektromagneten erzeugt. „Die Stabilität des Systems ist durch eine geeignete Rückkopplung und elektronische Steuerung gewährleistet.“

Die unsichtbare Innovation

Dabei ist Klaus Enders eher ein zurückhaltender Typ. Einer, der mit viel Verstand und absoluter Zuverlässigkeit seine Arbeit macht. Auf den ersten Blick eher unspektakulär. Genau wie die SPAT – ein Projekt von Siemens und Vattenfall. Im Maschinenhaus im Block F des Kraftwerks in 10 Metern Höhe sieht man nur die orangen Magnetlagergehäuse, der schwebende Rotor verbirgt sich Inneren. Das Ganze ist eine 2,5 Tonnen schwere Sensation. Eine, die in den Dimensionen des riesigen Kraftwerks klein wirkt, aber international noch einen großen Auftritt haben könnte.

Optimaler Brandschutz, geringer Reibungswiderstand

Kraftwerkstechniker Enders hält jedoch wenig von Sensationen. Er setzt auf Fakten. Und die haben es in sich. Schließlich hat eine ölfreie Turbine entscheidende Vorteile: Sie bietet optimalen Brandschutz, erhöht die Effizienz durch geringeren Reibungswiderstand, hat einen niedrigen Wartungsaufwand und ihr Zustand kann online überwacht werden. Zudem ist eine wirksame Beeinflussung der Lagerkraft möglich. Damit können Schwingungen und Unwuchten aktiv gedämpft werden.

Arbeiten an der ölfreien Turbine im Kraftwerk Jänschwalde, Foto: LEAG

„Eine technische Hürde bestand darin, ein jederzeit stabiles Magnetfeld zu sichern. Bei laufendem Betrieb einschließlich sämtlicher Laständerungen darf die Position des Rotors zum Lagermittelpunkt höchstens 0,2 Millimeter abweichen. Außerdem ist es 1äußerst wichtig, die hohen Prozesstemperaturen von 535° Celsius von den elektrischen Wicklungen der Lagerung fern zu halten“ erklärt Enders die Herausforderungen.

Die Leistung der im Kraftwerk Jänschwalde eingebauten SPAT beträgt 10 Megawatt, bis zu 5.700 Umdrehungen pro Minute sind möglich. Seit März 2015 läuft sie unter Volllast – und funktioniert ausgezeichnet. Das macht auch Hubertus Altmann, Vorstand für das Ressort Kraftwerke, stolz: „Dass wir hier in der Lausitz die weltweit erste ölfreie Dampfturbine betreiben, ist ein gutes Signal in schwierigen Zeiten.“

Kraftwerke werden flexibler

Am Standort Jänschwalde erprobt Vattenfall verschiedene Technologien unter dem Schlagwort FlexGen, Foto: LEAG

Und es ist ein Baustein für FlexGen – das Programm zur Erhöhung der Flexibilität von Braunkohlenkraftwerken. Es wurde bei Vattenfall vor drei Jahren gestartet. Hintergrund: Wenn immer mehr Strom aus Erneuerbaren ins Netz eingespeist wird, müssen konventionelle Kraftwerke gedrosselt werden. Fällt der Strom aus Wind und Sonne weg, sind diese Kraftwerke plötzlich wieder voll gefordert. Für diesen Schwankungsausgleich wurden Grundlastkraftwerke zwar nicht gebaut, aber ihre Anpassungsfähigkeit wird schrittweise erhöht. So wurde die Mindestleistung, also die Leistung, auf die man ein Kraftwerk bei hoher Einspeisung aus Erneuerbaren drosseln kann, bereits auf etwa 35 Prozent abgesenkt. Das Ziel ist eine weitere Absenkung auf 20 Prozent.

Ölfreie Turbinen für Bohrplattformen und die Chemieindustrie

Doch die ölfreie Turbine ist keineswegs nur für Braunkohlenkraftwerke geeignet, wie Wilfried Ulm, CEO der Business Unit Steam Turbines bei Siemens Energy, erklärt. In der Öl-und Gasindustrie könne sie zur Anwendung kommen, auf Bohrplattformen, aber auch in der Chemieindustrie, wo Brandgefahr eine große Rolle spielt. Ulm, der in Zittau studierte, spricht von einem Paradigmenwechsel, der nur durch starke Partner möglich geworden sei. „Ich glaube an die Dampfturbinentechnologie. Das Wichtigste was wir brauchen sind Referenzen im Heimatmarkt. Diese Referenz haben wir nun – und zwar in einem der größten Kraftwerke Europas.“

Internationales Projekt mit Lausitzer Kern

Erste Überlegungen zur ölfreien Turbine gab es schon vor 15 Jahren. Seit 2007 kooperiert die Siemens AG bei diesem Thema mit Vattenfall. Gemeinsam mit der Hochschule Zittau/Görlitz begannen umfangreiche Forschungsarbeiten. Seit Oktober 2014 lief der Probebetrieb, die offizielle Inbetriebnahme erfolgte am 8. April 2015. Als Partner und Zulieferer am Projekt beteiligt waren unter anderem die KSC Anlagenbau GmbH  mit Sitz in Cottbus, die Chemnitzer EAAT GmbH, die schweizerische Sulzer AG sowie die Firma Bernd Hummel, ein Fachbetrieb für Elektroinstallation aus Byhleguhre im Spreewald.

Den Transrapid überholt

Grünes Licht für die neue Generation von Turbinen, Foto: LEAG

 Die Chance, Maschinenkomponenten oder ganze Transportmittel berührungsfrei zu lagern oder zu bewegen, beschäftigt Ingenieure und Wissenschaftler schon viele Jahrzehnte. Ziel war es stets, mithilfe eines Magnetfeldes einen Körper im Schwebezustand zu halten. Bekanntestes Beispiele ist der Transrapid, der als superschnelle Magnetschwebebahn die Verkehrstechnik revolutionieren sollte. Doch das milliardenschwere Verkehrsprojekt floppte in Deutschland. In anderen Bereichen werden aktive Magnetlager inzwischen erfolgreich angewendet, z. B. in Turbopumpen an Raketentriebwerken, im Werkzeugmaschinenbau für magnetgelagerte Werkzeugschlitten oder in Turbokompressoren für Gaspipelines. Als magnetgelagerte Dampfturbine feiert die „Speisepumpenantriebsturbine Typ SST-600“ indes in Jänschwalde Weltpremiere.

Das Kraftwerk Jänschwalde

Das Kraftwerk Jänschwalde produziert jährlich etwa 23 Terawattstunden Elektrizität, ausreichend für sechs Großstädte Deutschlands sowie Fernwärme für die Städte Cottbus und Peitz. Das Kraftwerk besteht aus sechs 500 Megawatt-Blöcken. Es ist seit 1987 in Betrieb und wurde mehrfach modernisiert. Die Gesamtleistung beträgt 3.000 MW Elektrizität und 458 MW Fernwärme.

Daten und Fakten zur Speisewasserpumpenantriebsturbine SST-600

Drehzahl: 4.500 bis 5.700 U/min
Leistung: 10 MW
Dampfparameter: 36 bar / 535 °C
Gewicht Rotor: ca. 2,5 t

 

Der Beitrag erschien zuerst im Vattenfall Blog

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