19.03.2020

Frank-Michael Jurk spricht aus Erfahrung, Foto: LEAG

Einst von der DDR-Regierung zur Sicherung der Stromversorgung für Ost-Berlin gebaut, sind die beiden Gasturbinenkraftwerke (GTKW) Thyrow und Ahrensfelde im Speckgürtel von Berlin auch heute noch unverzichtbar für die Versorgungssicherheit.  Ab dem 1. Oktober 2020 nehmen beide GTKW an der Kapazitätsreserve teil. Mit ihr will Deutschland während des Umbaus der deutschen Stromversorgung hin zu Erneuerbaren Energien sichergehen, dass die Lichter zu keiner Zeit ungewollt ausgehen.

Der Katastrophenwinter 1978/1979 steckte der damaligen DDR-Regierung noch in den Gliedern, als die Entscheidung fiel, nördlich und südlich der Hauptstadt zwei Gasturbinenkraftwerke zu bauen. Mit ihnen sollte der Osten Berlins vor einem Blackout geschützt werden. Einer, der den Winter als Kraftwerker selbst miterlebt hat, ist Frank-Michael Jurk. Seit dem Jahr 2017 ist er zuständig für die Gasturbinenkraftwerke.

Er erinnert sich: „Auf keinen Fall wollte man sich damals noch einmal die Blöße geben, dass Ost-Berlin und damit der gesamte Polit-Apparat vor den Augen der West-Berliner im Dunkeln sitzen.“  Zu frisch seien noch die Eindrücke des Katastrophenwinters gewesen, der mit plötzlicher Eiseskälte und massiven Schneefällen die Energieversorgung der damaligen DDR zum Erliegen gebracht hatte.

Gasturbinen aus Frankreich gegen den Blackout

Zahlen und Fakten


GTKW Thyrow

5 Gasturbinen MS 6001B
elektrische Leistung: 5 x 30 MW
gesamt: ca. 150 MW
Brennstoff: Erdgas
Gasspeicher: 480.000 Nm³
Erstinbetriebnahme: 1987-1989

 

GTKW Ahrensfelde

4 Gasturbinen MS6001B
elektrische Leistung: 4 x 30 MW
gesamt: ca. 120 MW
Brennstoff: Erdgas
Gasspeicher: 360.000 Nm³
Erstinbetriebnahme: 1990-1991

So bestellte die DDR bei dem französischen Kraftwerksanlagenbauer Alsthom (heute Alstom) zwei Gasturbinenkraftwerke auf Basis von Erdgas. Beide Anlagen kamen anfangs vor allem zum Einsatz, um Bedarfsspitzen beim Stromverbrauch zu decken. Doch bis zur Mitte der 2010er reduzierten sich ihre Betriebszeiten auf wenige Stunden im Jahr. „Strom am Markt war billig, Gas im Vergleich zu anderen Energieträgern teuer. Im Jahr 2016 wurden daher beide Anlagen bei der Bundesnetzagentur zur Stilllegung angemeldet“, berichtet Jurk.

Das hätte das Aus für die beiden Standorte bedeutet. Doch die Bundesnetzagentur und der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission widersprachen dem Antrag und stuften Ende 2016 fünf von ursprünglich acht Gasturbinen des Gasturbinenkraftwerks Thyrow sowie den am Standort befindlichen Erdgasröhrenspeicher als systemrelevant ein. Mit ihnen soll seitdem die Stromnetz- und Versorgungssicherheit in der Regelzone von 50Hertz im Nordosten Deutschlands gewährleistet bleiben.

Im Falle eines Blackouts, eines flächendeckenden Stromausfalls, wären die Gasturbinen in der Lage den Wiederaufbau des Übertragungsnetzes zu ermöglichen und damit die Versorgung von Haushalten und Industriekunden mit elektrischer Energie zu garantieren. Frank-Michael Jurk erklärt es so: „Zuerst würde ein großer Dieselgenerator über eine Batterieanlange gestartet werden. Damit kann die Eigenbedarfsversorgung am Standort gesichert werden. Der Aufbau erfolgt dann stufenartig. Die erste Turbine startet mit ihrer Energie die nächste Turbine und so weiter. Mit Hilfe des Übertragungsnetzbetreibers würde der Strom dann über viele Zwischenschritte bis in das erste Großkraftwerk geschaltet werden, welches somit angefahren werden könnte, um die Stromversorgung wiederaufzunehmen.“

Diese Starthilfe wird als „Schwarzstartfähigkeit“ bezeichnet. Im November 2018 wurde dieses Szenario bereits gemeinsam mit 50Hertz durchgespielt. Der Ernstfall ist seitdem nicht eingetreten.

Systemrelevant und ab Oktober 2020 in der Kapazitätsreserve. Das Gasturbinenkraftwerk Thyrow steht für Sicherheit in der Stromversorgung, Foto: Andreas Franke für LEAG

Bundesnetzagentur entscheidet über Systemrelevanz

Mitarbeiter der GMB sorgen dafür, dass in Thyrow alles einsatzfähig ist, wenn ein Bedarf entsteht, Foto: Andreas Franke für LEAG

Alle zwei Jahre entscheiden Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber darüber, ob die Systemrelevanz weiter bescheinigt wird und damit die Anlagen jederzeit einsatzbereit gehalten werden müssen. Der Aufwand dafür ist entsprechend groß, wie Frank-Michael Jurk weiß. „Die Betreibermannschaft von unserer Tochterfirma GMB hat vor Ort gut zu tun. Jeden Tag müssen Checklisten abgearbeitet werden. Das reicht von Analysen und Prüfungen bis hin zu Mängelerfassungen und Reparaturen.

Dafür sind Servicefirmen regelmäßig vor Ort und natürlich auch der TÜV.  Unsere Einsatzfähigkeit müssen wir zudem viermal im Jahr für jeweils zwei Stunden nachweisen“, so Jurk. Drei Mitarbeiter umfasst die Mannschaft am Standort. Sie hatten zuvor ihr Know-how im Heizkraftwerk Senftenberg und im Biomasseheizkraftwerk Sellessen sammeln können. Seit diesem Februar ist der Standort Thyrow aber nicht mehr allein für seine Schwarzstartfähigkeit einsatzbereit zu halten, sondern auch aufgrund seiner Teilnahme an der deutschen Kapazitätsreserve.

Kapazitätsreserve soll Versorgungssicherheit gewährleisten

Auch das Gasturbinenkraftwerk Ahrensfelde wird nun Teil der Kapazitätsreserve, Foto: Andreas Franke für LEAG

Sie ist eine der Maßnahmen mit der auch während der Energiewende die Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben soll. Denn sicher ist, dass bis zum 31. Dezember 2022 rund drei Gigawatt Braunkohlekraftwerke und rund acht Gigawatt Kernkraft vom Netz gehen werden. In dem Fall, dass kein ausreichendes Angebot zur Deckung der gesamten Stromnachfrage vorhanden ist, würden die Anlagen, die an der Kapazitätsreserve teilnehmen, ihre Leistung bereitstellen müssen. Für LEAG als Betreiber bedeutet das, die Gasturbinen außerhalb des Strommarktes vorzuhalten und ausschließlich im Bedarfsfall auf Anweisung des Übertragungsnetzbetreibers einzusetzen. Maximal 12 Stunden darf der Anfahrprozess bis zur vollen Leistungsfähigkeit dauern.

Anders als bei Thyrow wurde im Jahr 2016 die Stilllegung des Gasturbinenkraftwerkes Ahrensfelde durch die Bundesnetzagentur genehmigt. Diese wäre nach drei Jahren wirksam geworden, erläutert Frank-Michael Jurk. Aber „die Kapazitätsreserve war zunehmend im politischen Gespräch. Verschiedene Faktoren wiesen auf einen möglichen Engpass in der Stromversorgung hin. Der Atom-Ausstieg rückte näher, gleichzeitig stockt der Netzausbau genauso wie der Ausbau von Erneuerbaren Energien – zumindest an den Orten, wo sie am dringendsten gebraucht werden“, zählt Jurk auf. „Da war für LEAG klar, sich mit beiden Gaskraftwerksstandorten und 270 MW Leistung für die Kapazitätsreserve zu bewerben.“ Am 14. Februar 2020 erhielt LEAG die Information, dass die Bewerbung für beide Standorte erfolgreich gewesen ist.

Die erfahrene Betreibermannschaft der GMB hat alles im Blick, Foto: Andreas Franke für LEAG

Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

„Seitdem laufen unsere Vorbereitungen auf Hochtouren. In Ahrensfelde müssen wir zunächst eine Bestandsaufnahme machen und entsprechend notwendige Instandhaltungsmaßnahmen umsetzen, ehe ab April/Mai der Testbetrieb gestartet werden kann“, so Jurk. Dafür sei ein eigenes Inbetriebsetzungs-Projekt, bestehend aus den unterschiedlichsten Fachbereichen der LEAG und der GMB, zusammengerufen worden.

Die Instandsetzung in Ahrensfelde läuft auf Hochtouren. Hier: die Wartung der Trenner in der 110kV-Schaltanlage durch die Frima Schmid, Foto: Torsten Weiß (GMB)

Parallel bereiten sich auch die Leitstandfahrer im Kraftwerk Schwarze Pumpe auf den Beginn der Kapazitätsreserve vor. Denn sie können aus der Ferne zu hundert Prozent auf beide Gasturbinenkraftwerke zugreifen. „Das kann zum Beispiel nachts notwendig werden, wenn kein Mitarbeiter der Betreibermannschaft vor Ort wäre“, erklärt Jurk. Zwar können die Kollegen vor Ort umgehend alarmiert werden, doch wären die Kollegen auf dem Leitstand im Kraftwerk Schwarze Pumpe in der Zwischenzeit in der Lage, die Gasturbinen in Gang zu setzen.

„Im Rahmen von Betriebsfahrten üben wir das immer wieder für den Standort Thyrow, damit alle wissen, wie zu handeln ist. Für Ahrensfelde würden wir ebenso verfahren und schulen die Kollegen dafür demnächst genauso umfangreich und regelmäßig“, erzählt Jurk. Seit dem Jahr 2016 werden die Mitarbeiter geschult. Da die Turbinen an beiden Standorten nahezu baugleich sind, sieht Jurk keine Probleme für die Kollegen, Ahrensfelde ebenso sicher aus der Ferne zu steuern.

Bei diesen Aussichten bleibt die Frage, ob es sich für LEAG lohnen würde, neue Gaskraftwerke zu bauen. Das Interesse an Gasturbinen ist derzeit wieder groß, berichtet Jurk. Die Ahrensfelder Turbinen hätte LEAG gut verkaufen können. In Thyrow wurden zwei Turbinen nach Nigeria verkauft. Aber Neuinvestitionen? Das wäre eine unternehmerische Entscheidung, die gut überlegt sein will, meint Jurk.

Auch Gas würde zunehmend nur als Zwischenlösung angesehen auf dem Weg zu einer künftigen Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien: „Und wer finanziert aus eigener Tasche eine Zwischenlösung in mehrstelliger Millionenhöhe, die an die 20 bis 30 Jahre bräuchte, um sich zu amortisieren?“

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen?

Dann schreiben Sie uns

Themen

Teilen

Autor

Kathi Gerstner

Direkt nach meinem Studium der Kulturwissenschaften hatte ich die Möglichkeit, in vielen Bereichen der Kommunikation unseres Energieunternehmens tätig zu sein. Seit mehr als zehn Jahren gehöre ich zum Team der Pressesprecher. Dort bin ich Ansprechpartnerin für die Medien zu allen Themen der LEAG-Geschäftswelt.  

Mehr von Kathi Gerstner