22.08.2017

In der Öffentlichkeit, die sich mit der Arbeit von Kraftwerken und der Übertragung von Strom von A nach B beschäftigt, stoße ich immer öfter auf das Wort „Redispatch“ und frage mich: "Was ist das eigentlich?"

"Dispatcher" - das kenne ich. Laut Duden ist das jemand, der den optimalen Einsatz von etwas regelt. In Kraftwerken plant er zum Beispiel deren kurzfristigen Einsatz. Seine Aufgabe ist es, den Kraftwerkspark so optimal wie möglich zu fahren. Dafür berücksichtigt er u.a. die variablen Kosten der Kraftwerke und den Strompreis am Markt, denn selbstverständlich will der Betreiber seine Lieferverpflichtungen mit dem höchstmöglichen Deckungsbeitrag erfüllen. Das Ergebnis dieser Planungen ist ein so genannter Fahrplan. In diesem täglichen Fahrplan steht, welches Kraftwerk wann und in welcher Last gefahren wird.

Das weiß ich schon mal, habe also eine Ausgangsbasis. Was aber bedeutet das "re" vor dem Wort? Ich bemühe nochmal den Duden und erfahre, dass das Präfix „re“ in Verbindung mit Verben ausdrückt, dass etwas wieder rückgängig gemacht wird.

Netzversorgung soll ungestört laufen

Dispatcher regeln in einem Kraftwerk dessen Einsatz. Das Ziel: den Kraftwerkspark so optimal wie möglich fahren. Foto: Lange 


Macht Redispatch also den wohlüberlegten Fahrplan wieder zunichte? Und was genau passiert da? Ab hier hilft mir der Duden nicht mehr weiter. Ich informiere mich bei Dr. Jürgen Krause, der sich bei der LEAG mit der Optimierung von Kraftwerksanlagen beschäftigt, und erfahre Folgendes:

Alle Kraftwerksbetreiber müssen ihre Fahrpläne bis 14:30 Uhr des Vortages an ihren Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) melden. Für die LEAG ist das 50Hertz. Die Netzbetreiber wiederum sind verpflichtet, ihre Netze sicher zu betreiben und dafür Sorge zu tragen, dass alle vertraglich vereinbarten Lieferungen abgewickelt werden. Nachdem sie die Fahrpläne von allen Ein- und Ausspeisern erhalten haben und über sichere Wetterberichte verfügen, sehen sie, welche Lastflüsse zu erwarten sind – welche Teile des Stromnetzes also durch den gemeldeten Dispatch voraussichtlich wie stark beansprucht werden. Die ÜNB beziehen dabei auch grenzüberschreitende Einflüsse ein, denn Strom hält sich nicht an Nationalstaatsgrenzen. Wir sitzen alle in einem großen Europäischen Netz.

Im Transmission Controll Center von 50Hertz in Neuenhagen laufen alle Informationen zusammen. Foto: 50Hertz

Wenn der Netzbetreiber nach Analyse all dieser Fakten feststellt, dass sein Netz voraussichtlich unzulässig hoch belastet sein wird, muss er Maßnahmen ergreifen. Eine unzulässige Belastung ist dann erreicht, wenn der Betreiber das sogenannte n-1-Kriterium nicht mehr einhalten kann. Dieses besagt vereinfacht, dass die Netzversorgung ungestört weiter laufen muss, auch wenn ein Element ausfällt.

Der Übertragungsnetzbetreiber verfügt gemäß Energiewirtschaftsgesetz über ein ganzes Spektrum an Maßnahmen. Das können zunächst netzbasierte Maßnahmen sein. Eine netzbasierte Maßnahme ist zum Beispiel die Herstellung eines anderen Schaltzustandes. Das hilft oftmals schon. Das kann der ÜNB ohne Dritte zu fragen selber machen. Für diesen Dritten verändert sich auch nichts. Das merkt außerhalb des Netzbetreibers keiner. Wenn das aber nicht ausreicht, muss er marktbezogene Maßnahmen ergreifen. Und die hauptsächliche marktbezogene Maßnahme ist das Redispatch. Das kann am späten Nachmittag beginnen, aber auch bis kurz vor der geplanten Lieferung.  

Was passiert dabei im Netz?

Umspannwerk Bertikow in der Uckermark. Foto: 50Hertz

Was passiert dabei genau, zum Beispiel im 50Hertz-Netz? Der Lastfluss ist wie ein Fluss. Im Norden wird viel Strom eingespeist. Abgenommen wird er zum großen Teil im Süden. Das ist der typische Fall, wenn Wind weht. Auf dem Weg von Nord nach Süd gibt es das erwähnte überlastete Netzelement. Oberhalb des dadurch verursachten Engpasses (im Norden) muss der ÜNB eingreifen. Er teilt dem dortigen Kraftwerksbetreiber mit, dass er seine Einspeisemenge reduzieren muss. Der Dispatcher im Kraftwerk überprüft, ob und wie das möglich ist, und meldet dies zurück. Der Fahrplan wird angepasst. Das heißt, ein Kraftwerk wird am nächsten Tag für eine bestimmte Zeit heruntergefahren.

Wie oft passiert ein Redispatch? Im Jahr 2016 mussten die Kraftwerke der LEAG insgesamt 3.323 Gigawattstunden reduzieren. Das sind etwa 5 Prozent der verkauften Leistung. Die LEAG-Kraftwerke arbeiten flexibel und beherrschen dieses Hoch- und Runterfahren in weiten Grenzen.

Doch damit ist es nicht getan. Die Kraftwerksbetreiber haben ihren Strom ja verkauft und der Kunde muss versorgt werden. Letzteres organisiert der ÜNB, indem er einen Kraftwerksbetreiber unterhalb des Engpasses auffordert, mehr Strom einzuspeisen. Dieser hat Anlagen, die planmäßig nicht am Netz oder nicht voll ausgefahren sind, da ihre variablen Kosten oberhalb des Marktpreises liegen. Er hat also Kapazitäten frei.

Kapazitäten neu geregelt – wer zahlt?

Ist das Problem damit geklärt? Ja und nein. Die Kapazitäten sind neu geregelt. Doch das Ganze hat auch eine finanzielle Ebene. Der Kraftwerksbetreiber oberhalb des Engpasses fährt seine Anlage zurück und hat weniger Brennstoffkosten. Die eingesparten Kosten – auch die für CO2 – zahlt er dem Netzbetreiber. Die Einnahmen für den Kraftwerksbetreiber ändern sich nicht, denn der Stromvertrag mit dem Kunden wird – wenn auch durch einen anderen Einspeiser – erfüllt, bleibt also unberührt. Umgekehrt müssen dem Betreiber, der am Engpass einspringt, seine Einsatzkosten ersetzt werden. Dieses Kraftwerk ist teurer, wie oben bereits erklärt. Für die Kostendifferenz kommt der Netzbetreiber auf. Finanziell hat derjenige, der sein Kraftwerk drosseln muss, also auf den ersten Blick keine Einbuße. Doch zum einen entgehen dem Kraftwerksbetreiber potenzielle Deckungsbeiträge aus kurzfristigen Geschäften während des Tages und zum anderen wirkt sich das ständige Hoch- und Runterfahren auf den Verschleiß der Anlagen aus, wodurch auf Dauer zusätzliche Instandhaltungskosten entstehen. Diese werden im Moment nicht ersetzt.

LEAG Kraftwerk Schwarze Pumpe

Die LEAG-Kraftwerke - hier Schwarze Pumpe - werden den Redispatchanforderungen gut gerecht, Foto: Andreas Franke

Obwohl viele konventionelle Anlagen, wie auch die LEAG-Kraftwerke, den Redispatch-Anforderungen sehr gut gerecht werden, ist die Branche immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die Kohle würde die Netze verstopfen. Dem ist nicht so. Zwar werden bei länger anhaltenden Redispatchsituationen auch Blöcke ausgeschaltet, aber nicht alle konventionellen Kraftwerke werden auf Null heruntergeregelt. Das geht aus drei Gründen nicht: Zum einen müssen sie bei Beendigung des Redispatch wieder zügig hochfahren, zum anderen stellen sie den Netzbetreibern Regelenergie bereit, die diese benötigen, um die Netzfrequenz zu halten. Und zu guter Letzt gibt es auch Wärmelieferverpflichtungen aus den Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen.  

Von Verstopfen könnte man nur dann reden, wenn Windenergieanlagen ebenso heruntergefahren werden müssten. Das passiert jedoch erst nach Ausschöpfen aller Redispatchmöglichkeiten und damit eher selten. Eins steht jedoch fest: Je mehr Windenergie ans Netz geht, umso mehr Redispatchmaßnahmen wird es vorerst geben müssen. Das wird sich jedoch dann ändern, wenn die geplanten Netzausbaumaßnahmen umgesetzt sein werden. Redispatch wird dann eine Ausnahme sein.

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Autor

Elvira Minack

Nachdem ich über 30 Jahre als Pressesprecherin und verantwortliche Redakteurin in Ostbrandenburg und in Franken gearbeitet habe, kam ich 2009 ins Unternehmen. Seit dem Herbst 2017 arbeite ich in der externen Kommunikation. 

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