Die Lausitz: Landschaftlich eine Oase, wirschaftlich eher Wüste. Industriezentren Fehlanzeige, Dauerplatz im Keller des deutschen Lohnatlas, Infrastruktur mit Aufholbedarf. Die Folgen: schleichende Abwanderung, Überalterung, Verödung. Wir haben Commerau besucht. Das 250-Seelen-Dorf zeigt ein anderes Bild. Viele der traditionellen Dreiseitenhöfe werden renoviert, der Schulbus ist bis auf den letzten Platz belegt, im Jugendklub brennt jeden Abend das Licht. Das Braunkohlerevier als größter Arbeitgeber der Region schafft hier den Gegentrend zur Landflucht. Industriearbeitsplätze mit Tariflohn und vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten sind entscheidend, wenn es darum geht, ob die Jungen gehen oder bleiben. Nur sie können die demografische Abwärtsspirale der Region künftig stoppen.
Uwe Katscher vor seinem Hof in Commerau, Foto: Andreas Franke für LEAG
Feierabend in Commerau: Wenn Uwe Katscher von der Früh- oder Nachtschicht kommt, springt er mit Hündin Keira meist sofort auf sein Quad, um sein Jagdrevier zu begehen und die Tiere zu füttern. Heimat, Hobbies und Familie mit einem gesicherten Einkommen kombinieren zu können, ist ein Segen, sagt er. Das „andere“ Revier ist bei den Katschers, die inzwischen in dritter Generation in Commerau leben, ein familiärer Fixpunkt: Uwes Bruder, sein Neffe und seine Nichte arbeiten ebenfalls in der “Kohle“. „Mit den sicheren Tarifgehältern können die für diesen Landstrich typischen Dreiseitenhöfe mit den angeschlossenen kleinen Landwirtschaften erhalten bleiben,“ erklärt Uwe, der neben Job und Flinte auch im Gemeinderat aktiv ist.
Kohle, Gips und Jobs
Uwe arbeitet als Betriebsschlosser bei Knauf. Die Firma produziert am Standort Schwarze Pumpe mit rund 80 Mitarbeitern Gipskartonplatten für den Bau und den Einzelhandel. „Ein ehrliches Produkt, ein guter Job“, sagt er. Knauf und das benachbarte Kraftwerk Schwarze Pumpe sind quasi betriebswirtschaftliche Zwillinge: Der Gips fällt in der Energieanlage als Nebenprodukt bei der Rauchgasreinigung an und wird bei Knauf direkt weiterverarbeitet. Der Betrieb war für Uwe und viele seiner heutigen Kollegen der Rettungsanker in der schwierigen Nachwendezeit. Nachdem der gelernte Schlosser mehr als 14 Jahre im Braunkohlekombinat gearbeitet hatte, kostete ihn der Strukturbruch in den 90ern seinen Job: „Wir waren im besten Alter, gut ausgebildet, aber eben ohne jede berufliche Perspektive “, blickt er zurück. Durch die Ansiedlung der Gipsfabrik neben dem Neubaukraftwerk Schwarze Pumpe konnten Uwe und seine Kollegen beruflich neustarten. „Bei einem heutigen Bruch im Revier sähe es deutlich schlechter für uns aus“ , schätzt der mittlerweile 54-Jährige ein. Für ein Revier mit Zukunft: Glückauf und Waidmannsheil!
Guter Schnitt: Allein im 250-Seelen-Dorf Commerau leben 13 Einwohner und ihre Familien vom ihrem Job im Revier, Foto: Andreas Franke für LEAG
Geboren um zu bleiben
Sportplatz, Feuerwehr, Bushaltestelle – Jedes Dorfkind kennt den klassischen Dreiklang des Landlebens. Öde? Absolut nicht, sagen Gabriel und Stefan. Natur statt Platte, auf dem elterlichen Hof anpacken, mit den Freunden aus der Schulzeit nach Feierabend abhängen und Pläne schmieden: „Langeweile haben wir selten“ bestätigen die Brüder unisono. Die beiden sind in Commerau aufgewachsen, haben nach der Schule beide erfolgreich ihre Lehre zum Mechatroniker bei LEAG absolviert und wurden im Anschluss direkt übernommen. Stefan arbeitet in der Hauptwerkstatt Schwarze Pumpe, Gabriel im Tagebau Nochten. Die finanzielle Sicherheit und die gute berufliche Perspektive gibt ihnen Gewissheit, den richtigen Weg gegangen zu sein.
Gabriel und Stefan arbeiten direkt bei der LEAG und engagieren sich in der Gemeinde. Hier sitzen sie vor dem Jugendclub in Commerau, Foto: Andreas Franke für LEAG
Gemeinsam statt Einsam
Hoffnung gibt es in Commerau: Diese liegt beim Nachwuchs, Foto: Andreas Franke für LEAG
Wohin der führen soll, wissen Sie noch nicht konkret. Dass er in der Heimat liegen soll, schon. Damit diese lebenswert bleibt, packen Sie selbst mit an: Gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus dem Ort pflegen sie Sport- und Spielanlagen im Ort, veranstalten im Klubhaus Feiern für Jung und Alt, pflegen regionale Traditionen. Das verbindet und stärkt das Dorfleben. Inzwischen haben viele „Jugendklubveteranen“ schon Familien gegründet und sich in Commerau niedergelassen. Das können sich die beiden auch vorstellen - später - wenn klar ist wie ihre berufliche Zukunft im Revier aussieht. Bis dahin verfolgen sie ihre beruflichen Ziele und genießen ihre Jugend.
Hoffnungsträger Lausitz
Früher wachsendes Energiezentrum mit Neubausiedlungen, heute wirtschaftliche Rumpfregion mit Nachwuchssorgen: Die Lausitz sieht sich seit der Wende mit den negativen Folgen des demografischen Wandels durch die arbeitsplatzbedingte Abwanderung konfrontiert. Große Wirtschaftsbetriebe sind hunderte Kilometer entfernt. Der Mittelstands- und Dienstleisterschwund der Nachwendejahre hat große Teile der ländlichen Regionen in Ostdeutschland zusätzlich geschwächt.
Das Ende der Landflucht?
Swen Nowotny ist Bürgermeister in der Gemeinde Konigswartha, zu der Commerau gehört, Foto: Andreas Franke für LEAG
In der Gemeinde Königswartha, zu der Commerau gehört, schimmert Hoffnung: Bürgermeister Swen Nowotny verzeichnet erstmals seit zwanzig Jahren eine Trendwende: „Die Kindergärten sind gut belegt, wir konnten sogar wieder eine weiterführende Schule in privater Trägerschaft am Standort ansiedeln,“ erklärt er. Mit der Einwohnerzahl steht und fällt auch die kommunale Wirtschaftslage. Nur in einem stabilen Binnenmarkt finden einheimische Gewerbetreibende ihren Platz.
Die hoffnungsvolle demografische Entwicklung hat für den Bürgermeister aber auch positive soziale Aspekte: Junge Familien bleiben in der Region, kaufen leerstehende Häuser oder kehren in Mehrgenerationshaushalte ein – eine Bereicherung für Jung und Alt. Junge Einwohner tragen zum gesellschaftlichen Leben in der sonst eher kargen Kulturlandschaft der Region bei. Sie pflegen Tradition und Brauchtum weiter, das sonst zum Erliegen käme. Die Entwicklung in seiner Gemeinde stimmt ihn optimistisch: „Solange der Nachwuchs hier eine berufliche Perspektive mit Tarifarbeitsplätzen hat, profitiert die lokale Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben.“
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