Gegen 17 Uhr am Sonntag, den 30. September, ist der 500-Megawatt-Block F im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in die politisch verordnete Sicherheitsbereitschaft geschickt worden. Anlässlich der Netztrennung riefen die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) und die Gesamtbetriebsräte der LEAG zur Demonstration nach Cottbus. Rund 3000 Menschen folgten dem Aufruf und setzten ein Zeichen gegen den Verlust weiterer Arbeitsplätze und für eine nachhaltige Strukturentwicklung ihres Reviers.
Axel Franz beobachtet wie das Betriebsleitprogramm alles zur Netztrennung vorbereitet, Foto: LEAG
Seit sechs Uhr ist Axel Franz am Samstag schon auf Schicht. Franz ist Blockführer von Friedrich und Emil – so werden die Blöcke F und E im Kraftwerk Jänschwalde genannt – und das schon fast von Beginn an. Am 17. November 1988 ging der Block erstmals ans Stromnetz, seit 1989 ist Franz für Friedrich zuständig. Er hat alle Entwicklungen mitgemacht, allein drei Mal wurde die Leittechnik modernisiert, die Anlage ist auf dem Stand der Technik. Mehr noch, sie verfügt über Trockenbraunkohlebrenner und eine magnetgelagerte Speisepumpenantriebsturbine. „Die ist weltweit einzigartig“, erzählt Franz. Als die Nachricht 2015 kam, dass sein Block in die Sicherheitsbereitschaft eingeht, reagierte der heute 59-Jährige mit Unverständnis. Inzwischen geht er pragmatisch damit um. „Die Politik hat entschieden. Wir werden das hier alles geordnet abfahren.“ Die Sicherheitsbereitschaft gehört jetzt zu seiner Arbeit und die macht er seit über 30 Jahren pflichtbewusst. Doch das Unverständnis ist geblieben.
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Es tut einfach weh
Die Ansprache von Kraftwerkleiter Thiem wird live nach Cottbus übertragen, Foto: LEAG
Kraftwerksleiter Thiem und Kraftwerksvorstand Hubertus Altmann verfolgen die Netztrennung, Foto: LEAG
Über 100 Beschäftige sind wie Franz für den Betrieb von Friedrich zuständig. „Das ist die emotionalste Seite der Sicherheitsbereitschaft“, sagt Kraftwerksleiter Andreas Thiem. Rund 600 Stellen werden über alle Unternehmensbereiche hinweg wegfallen, wenn im nächsten Jahr auch Block E in die Bereitschaft geht. Betriebsbedingte Kündigungen konnten vermieden werden. Doch in den kommenden Jahren werden weniger junge Menschen einen Arbeitsplatz bei der LEAG finden können. Auch die Servicepartner, die für die Instandhaltung zuständig sind, werden diesen Einschnitt spüren und sicherlich ihrerseits personelle Auswirkungen haben. Auf den heutigen Tag hat sich die Kraftwerksmannschaft mit einem eigenen Projektteam vorbereitet. Um halb fünf wird das Blockleitprogramm für die Netztrennung eingeleitet. Dies läuft automatisch ab. Zu diesem Zeitpunkt ist auf der Warte nichts mehr alltäglich. Neben dem Schichtpersonal sind Filmteams vor Ort, Pressevertreter verfolgen das Geschehen. Auch Thiem ist selbstverständlich hier. „Seit drei Jahren wissen wir, dass dieser Tag kommen wird. Seit drei Jahren wissen wir, dass Block F abgeschaltet werden muss. Seit drei Jahren bereiten wir uns akribisch darauf vor. Doch trotz dieser langen Zeit fällt es uns heute schwer, unsere Gefühle zu kontrollieren. Es tut einfach weh. Es ist ein emotionaler Moment für uns“, so Thiem. „Ich bedanke mich bei all Jenen, die diesen Kraftwerksblock errichtet haben, die ihn tagtäglich betrieben haben, die ihn gewartet und modernisiert haben – also bei all Jenen, die Teil der Erfolgsgeschichte Kraftwerk Jänschwalde waren oder sind. Danke!“
600 Arbeitsplätze fallen weg
Die Bilder aus der Warte in Jänschwalde werden auf den Stadthallenvorplatz in Cottbus übertragen. An beiden Orten herrscht in diesem Moment Stille. Die Blicke sind auf die Anzeigen gerichtet, in wenigen Sekunden geht Friedrich vom Netz. In Cottbus sitzen inmitten der versammelten Menschen 600 Kolleginnen und Kollegen mit schwarzen T-shirts und weißen Helmen. Im Moment der Netztrennung erheben sie sich schweigend, begleitet von einzelnen Pfiffen und Rufen. Zurück lassen sie 600 leere Stühle, auf denen nur noch ihre Helme liegen. Die Stimmung ist gedrückt. Jeder leere Platz symbolisiert einen der Arbeitsplätze bei der LEAG, die in der Lausitz durch die Sicherheitsbereitschaft verloren gehen werden. Das ist viel für eine Region, die nicht mit vielen Industriearbeitsplätzen ausgestattet ist. Und nur wenige andere Unternehmen bieten überhaupt so viele Arbeitsplätze.
"Ich bin viel mit den Servicepartnern beschäftigt, mit denen wir Anlagen nicht nur hier in Jänschwalde, sondern an allen vier Standorten Instand halten. Und das treibt mich auch ein Stückweit um, weil natürlich auch bei diesen Firmen die Verunsicherung greifbar ist, wenn Anlagen außer Betrieb gehen. Die Servicepartner, die für uns Arbeiten leisten, brauchen natürlich auch eine Planungssicherheit. Es geht ja nicht nur um uns bei der LEAG." Steffen Dahms, Fachgebietsleiter Vertrags- und Ausrüstungsmanagement im Technischer Service
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"Wenn man da mitten drin war, in diesem Block mit den 600 Stühlen, hat das unheimlich viele Emotionen ausgelöst. Viele waren da, glaube ich, den Tränen sehr nahe. Gleichgültig hat das jedenfalls keinen gelassen. Die Masse dieser 600, die aufgestanden und weggegangen sind, hat den Verlust deutlich gemacht." Heike Passeck, Betriebsratsvorsitzende Hauptverwaltung für die Bergbausparte
Zudem gibt es weitere Konsequenzen: „Es trifft zuerst und im besonderen Maß den Fachkräftenachwuchs, auf den diese Region wie kaum eine andere angewiesen ist“, stellt LEAG-Personalvorstand Dr.-Ing. E.h. Michael von Bronk heraus. „Früher galt für Auszubildende ein guter Fachabschluss schon fast als sichere Garantie dafür, dass man auch einen Arbeitsplatz im Ausbildungsunternehmen bekommen würde. Diese Zusage können wir trotz der hohen Qualität unserer Ausbildung heute nicht mehr allen Auslernern geben.“
Die LEAG müsse auf den politischen Eingriff reagieren. Das Ausbildungsangebot werde in den kommenden Jahren zurückgehen. „Vor weiteren Eingriffen dieser Art kann man nur warnen, sonst wird diese Region noch mehr junge Menschen an florierende Industriezentren in Westdeutschland verlieren“, mahnt von Bronk.
Kein Streit, sondern Wandel
Der stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende Toralf Smith, Foto: LEAG
Ute Liebsch von der IG BCE, Foto: LEAG
Noch mehr vorzeitige Kraftwerksstillegungen und damit verbunden weitere Verluste an Arbeitsplätzen und Wertschöpfung dürfe es nicht geben, warnt Toralf Smith, Betriebsratsvorsitzender der Kraftwerkssparte. „Wer das nicht wahrhaben will und die überambitionierten deutschen Klimaziele trotzdem mit der Brechstange auf dem Rücken der Lausitzer Bergleute und Kraftwerker durchsetzen will, der riskiert nicht nur die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit dieser Region, sondern auch die Versorgungssicherheit in Deutschland, zu der die Braunkohle mit annähernd einem Viertel der Stromerzeugung verlässlich beiträgt.“ Der Betriebsrat der LEAG hat gemeinsam mit der IG BCE zu der Demonstration in Cottbus aufgerufen. Deren Cottbuser Bezirksleiterin Ute Liebsch fordert in ihrem Redebeitrag, dass sich die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung endlich wirklich mit realistischen und wirksamen Konzepten für eine verantwortungsvolle Strukturentwicklung in der Lausitz befasst: „Wir brauchen keinen Streit um ein Ausstiegsdatum, sondern einen verlässlichen Entwicklungsplan für die nächsten Jahrzehnte in der Lausitz, der langfristig die Infrastruktur und die nötigen Anreize zum Erhalt gut bezahlter Industriearbeitsplätze in dieser Region schafft und so den Wandel überhaupt erst ermöglicht.“
"Wenn 600 Arbeitsplätze abgebaut werden, fehlen diese in der Folge auch für die Nachbesetzung mit gut ausgebildeten Jungfacharbeitern. Das betrifft die Zukunft unserer Auszubildenden, ihre potentiellen Arbeitsplätze im Ausbildungsunternehmen bzw. in der Region. Außerdem gehen uns Einsatzstellen für die Auszubildenden im Betrieb verloren. Da ist die Stimmung gedrückt." Daniel Michael, Ausbilder Ausbildungswerkstatt Jänschwalde.
#Aufstehen hieß es für die Kolleginnen und Kollegen bei der stillen Protestaktion in Cottbus, Foto: LEAG
"Ich hatte Gänsehaut. Das, was hier heute passieren musste, kann ich nicht nachvollziehen. Wir sind hier aufgewachsen, ich habe hier gelernt. Wir haben unser soziales Leben hier. Wir wollen in der Region bleiben. Das heißt nicht, dass wir nicht mobil sind – oder das nicht sein wollen. Für einen Arbeitsplatz macht man das am Ende schon. Aber es wäre schön, wenn unser Junior einen Arbeitsplatz in der Lausitz fände." Manuela Heyn-Dittbrenner, Instandhaltung Kraftwerke
Für die Lausitz einstehen
Ministerpräsident Woidke, Foto: LEAG
Sachsens Wirtschaftsminister Dulig, Foto: LEAG
Rückendeckung erhält sie von Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke und dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig. Beide sind nach Cottbus gekommen und versichern, dass Brandenburg und Sachsen gemeinsam für die Lausitz einstehen werden. Woidke dankte den Kraftwerkern. Sie hätten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit in Deutschland geleistet. Jetzt käme es darauf an, aktiv die weitere Zukunft der Lausitz zu gestalten. „Unser Motto muss heißen: „Nicht schlecht reden, sondern gut machen.“
„Wir dürfen keinen zweiten Strukturabbruch zulassen und diesen nicht durch künstliche Festlegungen von Ausstiegsdaten befeuern“, betont Dulig. „Zudem brauchen wir eine sichere und qualitativ hochwertige Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen für alle Verbraucher. Ansonsten gefährden wir nicht nur die ökonomische, sondern auch die soziale Stabilität in unserem Land.“
„Wie schon zu Beginn der 90iger-Jahre muss die Lausitz eine rückläufige Wertschöpfung hinnehmen und Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft opfern, für die es bislang keinen adäquaten Ersatz gibt“, führt LEAGs Vorstandsvorsitzender Dr. Helmar Rendez im Gespräch zum Ende der Veranstaltung in Cottbus aus. Und der Druck auf die Lausitz steige weiter an. Er fordert, dass das Revierkonzept der LEAG die Basis für die künftige Energiepolitik in der Lausitz bilden müsse. „Mit unserem Revierkonzept haben wir auf 850 Millionen Tonnen Kohle verzichten. Es ist kompatibel mit Deutschlands internationalen Klimaverpflichtungen.“ Es brauche verlässliche Rahmenbedingungen für alle Seiten.
Rot strahlt der Kühlturm in Jänschwalde über Nacht, Foto: LEAG
Der Osten liefert
Der Block F ist vom Netz getrennt, Foto: LEAG
Inzwischen ist es halb sechs. Der Rummel auf der Warte hat sich gelegt, die Demonstration in Cottbus ist zu Ende. Auch für Franz ist um 18 Uhr Feierabend auf der Warte im Kraftwerk Jänschwalde. Bis Oktober 2019 bleibt er hier, dann wird auch der Block E, der Emil, vom Netz getrennt. „Da habe ich zum Glück Nachtschicht.“ Danach wechselt er auf einen anderen Block. Sonntag wird er wieder zum Dienst auf der Warte um sechs Uhr antreten, dann ist das Feuer im Kessel von Friedrich erloschen. Ab Mitternacht – so die Vorgabe der Bundesregierung – darf der Kessel kein Kohlendioxid mehr emittieren. Wenn im Herbst 2019 Block E in die Sicherheitsbereitschaft folgt, hat die Lausitz mehr als ein Drittel der erneuten CO2-Einsparungen erbracht, welche die Regierung mit der vierjährigen Reservestellung und anschließenden Abschaltung von 2,7 GW Braunkohlen-Kraftwerksleistung in Deutschland erreichen will. „Der Osten hat geliefert und liefert weiter“, unterstreicht Betriebsrat Toralf Smith. Seit 1990 bis heute sei in der Region ein Löwenanteil der in Deutschland erreichten CO2-Einsparung erbracht worden – gerade in der Energiewirtschaft. „Jetzt ist die Schmerzgrenze erreicht, an der diese Stellschraube in der Lausitz nicht weiter angezogen werden darf.“
Weitere Information zum Thema:
Pressemitteilung vom 30.9.2018 Jänschwalder Kraftwerksblock geht vom Netz
Pressemitteilung vom 3.5.2018: Die LEAG bereitet sich auf die Sicherheitsbereitschaft vor
Blogbeitrag vom 7.5.2018: Sicherheitsbereitschaft: Erzwungener Schlummerschlaf