28.02.2019

Draußen herrscht ein trüber Winter, grau, feucht und schon ein wenig frostig – die Fernwärmeheizungen laufen durch in den Wohnungen von Peitz bis Cottbus In vielen von ihnen geht schon am frühen Nachmittag das Licht an. Das bedeutet Hochbetrieb im benachbarten LEAG-Kraftwerk Jänschwalde – auch auf der AE-Warte Werk 1, die für den reibungslosen Elektrobetrieb der Blöcke A und B zuständig ist. Rolf-Günter Thomas (59) und Otto Müller (22) haben hier gemeinsam Schicht.

Der alte Hase ist seit vielen Jahren Schichtleiter Elektrobetrieb, der Neuling Auszubildender zum Elektroniker im 3. Lehrjahr. Auf zahlreichen Monitoren im Raum behalten sie das Netz der elektrischen Leitungen, Verbindungen, Schaltungen im Blick, dokumentieren Messwerte, unternehmen Kontrollrundgänge und, wenn es nötig wird, greifen sie mit ihrem handwerklichen Können ein. Nicht nur der Dienst auf der Blockwarte eint die beiden in diesen Tagen, auch die Gedanken, die sie sich um die Zukunft machen. Denn mit den Empfehlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, die Ende Januar vorgelegt wurden, will die Bundesregierung ihre Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kohle verbinden. Unter welchem Zeitdruck und mit welchen Maßnahmen, das ist immer noch offen. Klar aber ist: Es wird Auswirkungen auf die LEAG und ihre Mitarbeiter haben und damit auch auf die Region, die zu einem wesentlichen Teil von der Arbeit der Braunkohle-Tagebaue und -Kraftwerke lebt. Wie sie die Kohleausstiegsdebatten und das Ringen um einen angemessenen Zeitkorridor für den Strukturwandel erleben, darüber sprachen Rolf-Günter Thomas und Otto Müller im Interview.

Rolf-Günter Thomas und Otto Müller gemeinsam auf Schicht auf der AE-Warte Werk 1 im Kraftwerk Jänschwalde, Foto: LEAG

 

Herr Thomas, Sie arbeiten seit 1980 im Kraftwerk Jänschwalde. Den ersten Strukturbruch in der Lausitz und in der Energiewirtschaft nach der politischen Wende haben Sie also selbst miterlebt. Wie war das?

Rolf-Günter Thomas ist mit Anfang 20 in die Lausitz gekommen und geblieben, Foto: LEAG

Rolf-Günter Thomas: Ich stamme ursprünglich aus Görlitz, habe im Kraftwerk Hagenwerder den Beruf des Elektromonteurs erlernt und bin 1980, also mit Anfang 20, zusammen mit Frau und Tochter dem Ruf der Kohle in die Lausitz gefolgt. Wir haben hier eine Wohnung bekommen und unseren Lebensmittelpunkt aufgebaut. Meine Frau war ebenfalls Elektrikerin im Kraftwerk, hat dann aber nach 1991 umgeschult zum Bauzeichner und ist in die freie Wirtschaft gewechselt. Es sind ja viele Bereiche damals outgesourct worden und Kollegen sind gegangen und mussten sich umorientieren. Dem ist sie einfach zuvorgekommen. In der Energiewirtschaft gingen damals viele Arbeitsplätze verloren. Auch bei uns hat man das gemerkt. Früher waren in einer Elektroschicht – ich sag mal – drei Skatrunden da, mittlerweile machen wir das alles zu viert, was früher ein Dutzend Kollegen gemacht haben. Natürlich hat sich da auch von der Technik her vieles verändert und modernisiert.

Haben Sie damals ans Weggehen aus der Lausitz gedacht?

Rolf-Günter Thomas:  Nein das war kein Thema für uns. Es lief ja noch gut im Kraftwerk. Das Problem kam für unsere Familie erst später, als die Kinder größer geworden sind und man gemerkt hat: In der Lausitz gibt es ja eigentlich gar nicht mehr so viel an Arbeit und Entwicklungsmöglichkeiten.

Herr Müller, andere junge Leute gehen weg aus der Lausitz, Sie haben hier eine Perspektive gefunden. Warum haben Sie sich für eine Ausbildung zum Elektroniker in einem Braunkohlenkraftwerk entschieden?

Otto Müller: Ich bin in Cottbus-Willmersdorf aufgewachsen, man kann sagen in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk und zum Tagebau Cottbus-Nord. Von unserem Wohnzimmerfenster aus kann ich Jänschwalde sehen. Ich bin mit der Braunkohle groß geworden, irgendwie war sie immer da. Trotzdem habe ich hier nicht gleich meinen Traumberuf gesehen. Das war erst das Ergebnis einer Findungsphase. Ich habe mich umgeschaut, was es in der Region gibt, das mich interessiert und bin dann auf den Beruf des Elektronikers gestoßen. Ich habe gemerkt, dass mir das gut liegt. Und über dieses Berufsprofil bin ich zum Kraftwerk Jänschwalde gekommen. Ich habe viele Freunde, die hier im Unternehmen arbeiten, meistens im Tagebaubereich; mein Onkel und meine Tante arbeiten im Kraftwerk. Die haben mir alle zugeraten, hier eine Ausbildung zu beginnen. Was Besseres könnte ich gar nicht machen.

Die Einfahrt ins Kraftwerk Jänschwalde passieren beide jeden Arbeitstag, Foto: LEAG

Hätte es denn Alternativen gegeben?

Otto Müller: Wenig. Ich wollte ja schon gern in der Lausitz bleiben, wo man seine Freunde, Freundin und Familie hat.

Rolf-Günter Thomas: Das ist auch normal, dass der Mensch erst mal versucht, eine Arbeit an seinem Heimatort zu finden. So war das ja bei mir auch. Heimat ist für mich da, wo ich mein Geld verdiene, wo ich leben und meine Familie ernähren kann. Ich bedaure jeden, der kilometerweit zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln muss und am Ende nur noch eine Art Wochenendehe führt. Und es ist auch nicht schön, wenn, wie jetzt bei uns, die Kinder so weit weg sind.

Otto Müller: Ich weiß, wie das ist. Mein Vater ist Dachdecker und hat fünf Jahre in der Schweiz gearbeitet, weil es hier finanziell gar nicht mehr stimmte. Das hieß auch, deutlich Abstriche zu machen bei der Familie. Das ist nicht einfach.

Wie definieren Sie Heimat, Herr Müller, was sehen Sie, wenn Sie auf die Lausitz schauen?

Otto Müller lernt bei der LEAG Elektroniker für Betriebstechnik und will auch im Beruf arbeiten, Foto: LEAG

Otto Müller: Für mich ist Heimat Erinnerung. Heimat ist da, wo man nach Hause kommt, da, wo meine Liebsten sind. Das heißt nicht, dass Heimat an einen Ort gebunden ist, sicher kann man sie auch anderswo auch wiederfinden. Aber für mich als noch junger Mensch ist das hier auf alle Fälle meine Heimat, weil ich hier so viele Erinnerungen und meine ganzen Freunde und die Familie habe. Und wenn ich die Lausitz sehe, dann sehe ich schöne Natur – klar mit viel Kiefernwäldern und Sand. Aber wir haben auch den Spreewald vor der Haustür und wir haben gerade mit den Traditionen der Sorben und Wenden etwas ganz Wichtiges in der Lausitz, das wir woanders nicht finden und das wir erhalten können. Das gehört für mich zur Heimat, denn meine Familie hat auch sorbische Wurzeln. Wir sprechen zwar die Sprache nicht mehr, aber ich mache bei den Traditionen wie Fastnacht und Hahnrupfen mit, die bei uns im Dorf gepflegt werden.

Machen Sie sich vor dem Hintergrund der Kommissions-Empfehlungen und der Debatte um den Kohleausstieg, den einige ja möglichst schnell in der Lausitz umsetzen wollen, Gedanken darüber, ob Sie auf Dauer hierbleiben können, wo Sie sich zu Hause und wohl fühlen?

Otto Müller: Ja, natürlich, das ist schwierig. Man sagt das so leicht: Dann schulst du eben noch mal um und machst was anderes. Aber ich lerne doch nicht Elektroniker für Betriebstechnik, weil ich später was anderes machen will. Ich würde schon gern eine Arbeit machen, die ich mir immer vorstellen konnte zu tun, die nützlich ist und auch anderen Menschen einen Gewinn bringt. Und da wird es dann schon schwierig, wenn wir die Kraftwerke nicht mehr hätten. Da müssten erst mal eine Menge gleichwertige Alternativen entstehen. Weggehen von hier wäre die allerletzte Option. Ich bin da schon ein bisschen konservativ. Meine Pläne von der Zukunft sind Familie, Haus und Garten in der Lausitz.

Bremsen die derzeitige Debatte und die damit verbundene Unsicherheit Sie und Ihre Pläne?

Otto Müller: Ja, es verunsichert einen. Ich kann mich im Moment noch auf nichts festlegen in einer so ungeklärten Situation. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob die Empfehlung der Kommission am Ende Einfluss haben wird auf die Frage, ob ich von meinem Ausbildungsbetrieb übernommen werde.  Solange das so ist, versuche ich alles so weit offen zu halten, dass ich im schlimmsten Fall noch einen Plan B oder Plan C habe.

Im Zuge der Debatte um die Arbeit der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung setzten auch die Jänschwalder zeichen, hier für die Versorgungssicherheit durch Braunkohleverstromung, Foto: LEAG

Wie empfinden Sie es, wenn in der Strukturkommission und in der Öffentlichkeit über die Zukunft der Lausitz und damit auch über ihren Arbeitsplatz gestritten wird?

Otto Müller:  Die Bundesregierung würde ich bitten, den Kompromiss der Kommission richtig zu bewerten und auch die Empfehlungen mit Blick auf die Versorgungssicherheit in regelmäßigen Abständen zu prüfen, weil ich glaube, eine sichere Energieversorgung liegt im allgemeinen Interesse. Wichtig wäre mir auch, dass mehr Arbeitsplätze in der Region für die Menschen geschaffen werden, aber nicht nur in Verwaltung und Forschung, sondern in der Industrie. Vor allen Dingen müssen es auch gut bezahlte Arbeitsplätze sein, damit die Fachkräfte auch hier bleiben und nicht weg gehen, weil das Leben anderswo einfacher zu bestreiten ist. Wir brauchen hier einfach sichere Zusagen und Perspektiven, denn wir wollen uns nicht im Stich gelassen fühlen.

Hat sich das gesellschaftliche Zusammenleben durch diese Debatte verändert?

Allein durch die Überführung zweier Blöcke des Kraftwerks Jänschwalde in die Sicherheitsbereitschaft gehen 600 Arbeitsplätze verloren, Foto: LEAG

Rolf-Günter Thomas:  Ich denke, dass durch diese Debatte wieder mehr ins Bewusstsein rückt, dass bestimmte Regionen im Osten über Jahrzehnte vernachlässigt worden sind. Solange immer noch ein bisschen Wirtschaft und ein großer Arbeitgeber da waren, ist es noch ruhig geblieben, aber jetzt sieht man, dass es immer enger wird, und das schafft Unruhe.

Otto Müller: Die Diskussion ist härter geworden, man diskutiert frontaler und schlagkräftiger, einfach, weil für die Leute daran auch ihre Existenz hängt. Für die Leute hier geht es dabei um die Arbeit, für die anderen um die Umwelt, also letztlich auch um Zukunft und Existenz. Man merkt aber, dass die Seiten weit auseinanderdriften, je nach politischem Lager. Und das ist gar nicht gut, weil eine Annäherung dann immer schwerer wird. Ich glaube, wenn es zu schnell geht mit dem Kohleausstieg und man die Lausitz im Stich lässt, wird es hier große Probleme geben. Auf der einen Seite werden die Menschen hier immer älter und pflegebedürftiger, auf der anderen Seite gehen die Jungen hier weg, wenn sie keine Arbeit finden. Das ist ein Brennkessel, ein Konfliktpotential, dass sich unsere Gesellschaft nicht leisten kann und auch nicht sollte. Und gerade diejenigen, die schon einen Strukturbruch mitgemacht haben nach der Wende und das gerade so hinbekommen haben, kriegen das vielleicht nicht noch mal gebacken, auch einen zweiten durchzustehen, und wollen das sicher auch nicht.

Wenn Sie der Bundesregierung jetzt einen Rat in Bezug auf Energiewende und Kohleausstieg geben dürften, welcher wäre das?

Rolf-Günter Thomas:  Kümmert Euch nicht so sehr um ein Enddatum, weil sich das automatisch mit dem technischen Fortschritt erübrigt. Wenn es bessere Möglichkeiten gibt, aus irgendetwas Strom zu machen, der immer da ist, dann haben wir das Problem nicht mehr. Es hat keinen Sinn, überstürzt irgendwelche Entscheidungen zu treffen, bloß damit ein Papier beschrieben ist, was dann in Stein gemeißelt sein soll. Viel wichtiger wäre es doch, die ursprünglichen Ziele regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie mit angemessenen Mitteln noch einzuhalten sind, ohne das ganze Versorgungssystem zu gefährden. Was ich im Augenblick sehe, ist, dass bei den Plänen, die bisher in den Raum gestellt wurden, die Stromversorgungssicherheit genau so wenig gewährleistet ist wie ein bezahlbarer Strompreis.

Otto Müller: Ich möchte an die Bundespolitik appellieren, vor allem, an die Jugend zu denken, also auch an die, die nach mir kommen. Denen muss das Gefühl vermittelt werden, dass sie gebraucht werden. Ich würden den Politikern sagen: Lasst uns nicht im Stich, dann lassen wir Euch auch nicht im Stich. Damit meine ich eine sichere Stromversorgung genauso wie die politische Unterstützung. Wer am Hebel sitzt, muss auch den Hebel bedienen, damit die Unsicherheit beendet wird, das erwarte ich. Und Hoffnung ist immer noch die beste Medizin, im Gegensatz zu Angst. 

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Autor

Thoralf Schirmer

Nachdem ich 20 Jahre als Lokaljournalist in der Lausitz gearbeitet habe, kam ich 2011 als Pressesprecher ins Unternehmen. Seitdem begleite ich alle Themen aus der Region zusammen mit meinem Team.

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