19.11.2017

Es ist kalt. Der Wind weht. Es ist nass. Seit acht Uhr stehen die ersten Teilnehmer der von der Gewerkschaft IGBCE und den Betriebsräten der LEAG organisierten Mahnwache vor der Landesvertretung Baden-Württembergs, wo die Sondierungsgespräche zur Bildung einer Koalition aus CDU/CSU, den Grünen und der FDP am heutigen Sonntag stattfinden. Trotz des widrigen Wetters sind die Gemüter erhitzt. Viele fürchten um ihre Existenz und fordern eine Perspektive für die Lausitz als Industriestandort.

Schon seit zwei Tagen steht die Mahnwache vor den Tagungsorten der Koalitionssondierungsteilnehmer. In Schichten wechseln sich die Teilnehmer ab. Anders ist die Präsenz bei den Wetterbedingungen nicht aufrecht zu erhalten. Die Reise nach Berlin muss in den Schichtplan passen. Privates wird hinten angestellt. Den Menschen geht es um eine Perspektive.

Seit acht Uhr stehen die Demonstranten vor der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin, Foto: LEAG

Die Mahnwache ist eine spontane Aktion. Der Aufruf erfolgte weitestgehend über die Sozialen Medien und wird von der Gewerkschaft IGBCE und den Betriebsräten organisiert. Ausgerüstet mit Trillerpfeifen und Plakaten empfangen die Demonstranten ab acht Uhr die Sondierungsgesprächsteilnehmer, die einzeln nacheinander in der Landesvertretung ankommen.

Angst um Arbeitsplätze

Claudia Roth von den Grünen sucht das Gespräch, Foto: LEAG

Bodo Holick ist Kraftwerker aus Schwarze Pumpe und fürchtet um die Perspektive seines Arbeitsplatzes. Er ist mit Kollegen in einer Fahrgemeinschaft nach Berlin gekommen. „Ich lebe gern in der Lausitz und würde hier gern noch ein paar Jahre weiter arbeiten. Auch meine Kinder brauchen eine Perspektive.“ Auch Tom Rösels Leben hängt an der Kohle. „Ich hab schon im Kraftwerk gelernt. Meine Lebenspartnerin arbeitet auch hier.“ Die Technik sei höchst interessant und modern, eine vergleichbare Tätigkeit schwer zu finden. „Wenn sie die Bude zumachen, muss ich umziehen. Zwar bin ich Elektroniker – aber wir sind spezialisiert auf Verfahrens- und Automatisierungstechnik. Da gibt es nicht so viele vergleichbare Arbeitsmöglichkeiten – allenfalls vielleicht in der Chemie und auf keinen Fall in der Lausitz.“

Forschung und Entwicklung statt Abschalten

Ein Hoffnungsträger aus Sicht der Demonstranten: Wolfgang Kubicki, FDP,  Foto: LEAG 

„Die Lausitz kann nicht ein zweites Mal abgehängt werden. Energiepolitik verlangt auch über den Tellerrand hinaus zu schauen“, fügt Christian Wolfram, der in Cottbus bei der LEAG arbeitet, an. „Forschung und Entwicklung haben immer mehr gebracht, als einfach abzuschalten.“ Karola Hipko, ebenfalls in Cottbus tätig, stimmt ihm zu. Braunkohle sei wichtig für den heutigen Strommix. „Und schließlich hängt mein Job daran.“

Inzwischen sind die ersten Politiker vor der Landesvertretung auf der anderen Straßenseite eingetroffen. Claudia Roth von den Grünen kommt herüber, spricht die Kollegen vor Ort direkt an und sucht das Gespräch. Für die Emotionen, die ihr entgegenschlagen, zeigt sie Verständnis und fordert zum sachlichen Austausch auf. Ein Konzept für die Zukunft der Lausitz hat sie nicht.

Rettet die Lausitz das Weltklima?

Finden keine Gemeinsamtkeit: Anton Hofreiter, Grüne, bei den Demonstranten, Foto: LEAG

So auch Anton Hofreiter, der mit dem Fahrrad ankommt, und ebenfalls zu den Demonstranten spricht. Er erklärt die Notwendigkeit der Abschaltung mit der Rettung des Weltklimas. Warum die Abschaltung der Braunkohleanlagen in der Lausitz dieses retten soll, versteht allerdings keiner der Teilnehmer. Deutschlands Beitrag zum weltweiten CO2-Ausstoß betrüge zwei Prozent, gibt Fran Heinze zu bedenken. Und die Braunkohle ist nur einer der Emittenten. Verkehr und Gebäudedämmung wären genauso große Handlungsfelder.

Jamaika muss Perspektiven zeigen

Im Pressegespräch: Frank Heinze (r.), Foto: LEAG

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Lausitz Energie Kraftwerke AG ist einer der Gesprächsführer. Es geht ihm an diesem Wochenende darum, Flagge zu zeigen. „Im Rahmen der Sondierungen werden Entscheidungen über unsere Arbeitsplätze getroffen. Es geht dabei um Menschen und ihre Perspektiven und nicht um Gigawatt oder Tonnen Co2. Bei allem, was man als Zurufe und Meldungen hört, bedrohen die möglichen Kompromisse die Existenz der LEAG. Deshalb bleiben wir, bis die Gespräche zu Ende sind.“

Sein Kollege Uwe Teubner vom Gesamtbetriebsrat Bergbau unterstreicht: „Wir wollen als Lausitzer nicht abgehängt werden. Bei uns in der Region gibt es keine Alternative zu unseren guten Arbeitsplätzen. Wir haben mit der Sicherheitsleistung und unserem neuen Revierkonzept viele Vorleistungen erbracht. Jetzt brauchen wir Planungssicherheit für die Umsetzung.“ Dieses Argument teilt Arbeitsdirektor Dr. E. h. Michael von Bronk. Er ist zur Unterstützung vorbei gekommen. Er versteht die Sorge seiner Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätz. „Es ist eine absolute Notwendigkeit aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit, Braunkohle zu verstromen. Das energiepolitische Dreieck sollte nicht nur nach Umweltgesichtspunkten ausgerichtet werden.“

Statement für die Braunkohle-Verstromung in der Lausitz: Ein Kühlturm des Kraftwerks Jänschwalde leuchtete rot in der Nacht zu Freitag, Foto: LEAG

Chancen nutzen

Inzwischen ist Wolfgang Kubicki da, er bekommt viel Bestätigung von den Kollegen. Christian Lindner eilt ohne eine Geste aus seinem Auto ins Gebäude. Mit als einer der letzten kommt Peter Altmaier per Fahrrad. Die Verhandlungen gehen weiter, während draußen die Demonstranten versuchen, sich warm zu halten. Wenigsten kann keiner von ihnen später sagen, sie hätten es nicht versucht, ihre Anliegen einzubringen. Es geht schließlich um eine Perspektive in der Lausitz. 

Weitere Information: 

IGBCE: Mahnwache der IG BCE gegen vorschnelle Entscheidungen zum Kohleausstieg
DEBRIV: Broschüre Braunkohle in Deutschland
Interview mit Frank Heinze

 

 

 

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen?

Dann schreiben Sie uns

Themen

Teilen

Autor

Daniela Hertzer

Meine berufliche Wiege stand in Brunsbüttel, genauer im dortigen Kernkraftwerk. Von da ging es stromaufwärts über Hamburg und Berlin in die Lausitz. Seit Beginn dieses Jahrtausends arbeite ich in der Unternehmenskommunikation: erst analog, jetzt digital. Mein Antrieb ist die Neugierde und der Spaß am Ausprobieren. Und ich bin ein großer Fan der Sesamstraße. In diesem Sinne: ... 1000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen, manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen....

 

Mehr von Daniela Hertzer