Es war einmal vor rund 700 Jahren in der Lausitz. Da soll der Pechbrenner einer Siederei am Rande der heutigen sächsischen Stadt Weißwasser ein heimliches Techtelmechtel mit einem Dorfmädel gehabt haben. Das allerdings ist nur eine der vielen Sagen, die man sich in dieser Gegend so erzählt.
Die Pechsiederei, die aber gab es wirklich! Archäologen haben jetzt im Vorfeld des Braunkohletagebaus Nochten Überreste gefunden und sind total begeistert. Warum? Peter Schöneburg, Grabungsleiter des sächsischen Landesamtes für Archäologie, erklärt das so: „Diese Pechsiederei ist zwar nicht die erste, auf die wir bei unseren Ausgrabungen in den vergangenen Jahrzehnten im Lausitzer Kohlerevier gestoßen sind. Aber sie ist eine der größte und besterhaltenen Pechproduktionsstätten, die je in Deutschland entdeckt wurden.“
Das Ausgrabungsfeld – so groß wie ein Fußballplatz
Und diesen einzigartigen Schatz der Geschichte wollen wir natürlich unbedingt sehen und machen uns auf zu einer Fahrt in die Vergangenheit. Vom „Turm am schweren Berg“ in Weißwasser bringt uns ein MTW – ein Mannschaftstransportwagen, mit dem sonst die Vattenfall Bergleute in den Tagebau einfahren – ins so genannte Vorfeld des Tagebaus Nochten. Holprig rollt das Fahrzeug über Stock und Stein am Tagebau entlang, wo Bagger unermüdlich Braunkohle für die Energieerzeugung im Kraftwerk Boxberg gewinnen. Dann liegt die Grabungsstätte vor uns! Auf einer riesigen freien Fläche! Peter Schöneburg breitet die Arme aus. So ein Tagebauvorfeld bietet ihm als Forscher Bedingungen, die ansonsten selten sind. Keine Straßen, Häuser, Bahngleise, nichts engt hier die Arbeiten ein. Altertumsforscher können sich sozusagen so richtig austoben. Und das haben sie auch. 60 mal 80 Meter misst das Ausgrabungsfeld. Doch so richtig gemütlich scheint dieser Arbeitsplatz nicht zu sein. Heftig weht ein kalter Wind um die Ohren und die Haare ins Gesicht. Die Archäologen aber sind es gewohnt, bei Wind und Wetter draußen zu arbeiten, um die Schätze der Geschichte zu sichern, zu bergen, zu dokumentieren. Auf Sommer und Sonnenschein warten, das können sie nicht, denn die Bagger kommen näher und näher.
Glück mit dem Pech
Peter Schöneburg nimmt eine Keramikscherbe in die Hand: Bereits 2010 hatte sein Team sie bei einer Oberflächenbegehung hier im Tagebauvorfeld gefunden und damit die ersten Spuren der Pechgewinnung. Und man mag es kaum glauben, nur wenige Zentimeter unter dem bewaldeten Boden schlummerten wirklich Überreste einer Produktionsstätte – und das unbemerkt rund 700 lange Jahre lang. Im Oktober des vergangenen Jahres aber wurden sie von den Archäologen wachgeküsst. Was bei den aufwändigen Ausgrabungen ans Tageslicht kam, ließ ihr Herz höher schlagen.
Scherbenfund, Foto: Bärbel Arlt
Denn ihnen offenbarte sich eine riesige und einzigartige Siedlung aus Pechofen, Pechbänken, Abstichgruben, Lehmkammern, Pechgruben und Keramikgefäßen. Peter Schöneburg und sein Team konnten ihr Glück mit dem Pech kaum fassen. Und nicht nur das: Auch das Alter konnten sie nahezu exakt bestimmen. Anhand eines Stück Kiefernholzes unter dem Abflussrohr des Pechofens konnte die Siederei auf das Jahr 1324 datiert werden. „Das ist eine absolute Seltenheit“, ist Schöneburg fasziniert.
Der Pechofen selbst ist für den Laien allerdings nur ein pechschwarzer kleiner Hügel in der Landschaft. Für die Experten aber ist er so gut erhalten, dass eine Rekonstruktion möglich war. „Wir schätzen seinen Durchmesser auf 2,66 Meter und den Hohlraum auf rund acht Kubikmeter“, so Schöneburg. Dabei huscht ein kleines Schmunzeln übers Gesicht und er zeigt auf eine Unterhöhlung: „Hier hatte es sich übrigens ein Fuchs gemütlich gemacht und seine Wohnung eingerichtet.“ Der Archäologe schätzt, dass der Ofen 50 bis 100 Jahre in Betrieb war. Pech zu gewinnen, so erzählt er, war Knochenarbeit. Für die Produktion der schwarzen zähen Flüssigkeit wurde vorrangig harzhaltiges Wurzelholz ausgegraben und gerodet, das dann in den Ofenkammern gestapelt und verbrannt wurde. Durch die Hitze wurden die Baumharze zu Teer, der dann wiederum zu Pech eingekocht wurde.
Das Pech im Mittelalter
Peter Schöneburg betrachtet den Fund, Foto: Bärbel Arlt
Dennoch sind viele Fragen zur freigelegten Siederei offen: Wo haben die Pechbrenner gewohnt?Woher bezogen sie das Wasser? Ist es eine slawische oder deutsche Pechsiederei? „Noch wissen wir wenig über die Details“, sagt Schöneburg.
Für ihn ist es immer wieder spannend, aus den Fundstücken der Geschichte Schlüsse zu ziehen, sie wie ein Puzzle zusammenzusetzen, sie zu interpretieren und sich vorzustellen, wie das Leben der Menschen damals war. Und für sie war die Pechgewinnung, wie wir heute sagen würden, ein wichtiger Industriezweig. Die zähe Flüssigkeit wurde als Schmierstoff, Farbstoff, zum Abdichten, zur Beleuchtung, als Waffe und Folterinstrument gebraucht und eingesetzt. Auch Vögel wurden mit Pech gefangen (Pechvogel). Und schließlich soll der Teufel sein Feuer mit Pech und Schwefel geschürt haben.
Enge Zusammenarbeit mit Vattenfall
Peter Schöneberg und Dr. Wolfgang Ender,Foto: Bärbel Arlt
Peter Schöneburg und Der Teufel soll aber auch die Kohle in der Lausitz versteckt haben, so erzählt es wieder eine Sage. Seit über 100 Jahren wird sie zur Energiegewinnung gefördert. Und für Archäologen ist das durchaus ein Segen. „Wir sind sehr froh, dass wir dank einer engen Zusammenarbeit mit Vattenfall, die Möglichkeit haben, das Tagebauvorfeld großflächig zu untersuchen, die Funde aufwändig zu sichern, zu bergen und zu dokumentieren.
Die spektakuläre Pechsiederei zeigt einmal mehr, wie wichtig diese Erforschung ist, damit unbekannte Zeugen der Vergangenheit nicht unbeachtet verschwinden“, sagt Dr. Wolfgang Ender, stellvertretender Abteilungsleiter im sächsischen Amt für Archäologie.
Braunkohleunternehmen unterstützt Grabungen
Die Grabungen werden von Vattenfall technologisch und finanziell unterstützt. Rund acht Millionen Euro hat das Energieunternehmen in den vergangenen Jahren für die Landesarchäologie bereitgestellt. Matthias Lehnig vom Bereich Forstwirtschaft der Vattenfall Europe Mining AG erklärt, dass die archäologischen Untersuchungen auf Grundlage des Denkmalschutzgesetzes erfolgen und damit immer ein fester und wichtiger Bestandteil der Vorfeldberäumung für einen Tagebau sind. Und sie erfolgen auch immer in enger Abstimmung mit den Bergbauaktivitäten. Diese enge Zusammenarbeit, so versichert Matthias Kuhle, Tagebaureferent für Nochten/Reichwalde, soll auf jeden Fall fortgeführt werden.
Denkmale für die Öffentlichkeit
Der Pechofen aus Nochten, Foto: LEAG
Eine Präsentation der archäologischen Grabungen und Funde der Pechsiederei im Tagebauvorfeld Nochten soll 2015/2016 in einer Ausstellung zu sehen sein. Außerdem ist die Rekonstruktion eines Pechofens in Trebendorf am Rande des Schrotholzhauses am Sportplatz geplant. Und im Mai werden die Archäologen mit Schülern der Bruno-Bürgel-Oberschule Weißwasser einen weiteren Pechofen am Rande von Weißwasser im Rahmen des Projektes „Pegasus – Schüler adoptieren Denkmale“ erkunden. Er soll in den Radtourismus einbezogen werden. Gefördert wird das Projekt vom sächsischen Kultusministerium.
Derzeit arbeiten zwei Archäologen, eine Geologin und zwei Grabungstechniker mit einem Team von sechs Mitarbeitern an gegenwärtig fünf Ausgrabungsstätten im Oberlausitzer Braunkohlenrevier. Mit Saisonbeginn wird das Team durch weitere Mitarbeiter verstärkt.
Mehr Funde in der Lausitz
Die jetzt ausgegrabene Pechsiederei am Tagebau Nochten reiht sich ein in eine Riege spektakulärer archäologischer Funde der letzten Jahre:
Entdeckt: Pückler-Turm
Der Turm, Grafik: LEAG
Im vergangenen Jahr sind die Archäologen im Vorfeld des Tagebaus Nochten auf Fundamentreste des einst 30 Meter hohen und hölzernen chinesischen Turms gestoßen. Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871) ließ ihn 1843 in seinem Jagdpark nahe Weißwasser errichten. Zum Ensemble des Parks gehörten auch ein Cottage, eine Jagdwiese und ein Märchensee. Vattenfall will nach der Rekultivierung an den Jagdpark erinnern und gesicherte Funde in die Gestaltung integrieren.
Sensationell: Eiszeit-Neandertaler
Grabungsplatz, Foto: LEAG
Was für eine Sensation! Schon vor 130.000 Jahren lebten in der Lausitz Neandertaler. Diese spektakuläre Entdeckung wurde 2013 im Tagebau Jänschwalde gemacht. Dort waren Werkzeuge aus Feuerstein gefunden worden, die in das Ende der vorletzten Eiszeit eingestuft werden können. Darüber hinaus konnten in den rund 20 Meter tiefen Erdschichten Tierknochen von Wolf, Pferd, Elch und Bison freigelegt werden. Einschlüsse von Birken und Sanddorn deuten darauf hin, dass hier einst eine sogenannte Waldtundren-Vegetation herrschte.
Aufsehenerregend: Germanin Frieda
Frieda, Foto: LEAG
Ihr Fund sorgte für Aufsehen: 2007 legten Archäologen im Tagebauvorfeld Jänschwalde das Grab einer 1600 Jahre alten Frau frei, die während der römischen Kaiserzeit lebte. Die Germanin, die auf den Namen Frieda getauft wurde, trug zudem noch eine blaue Kette aus Glasperlen und Reste einer Tracht. Unweit des Gräberfeldes, in dem alte Dame ruhte, entdeckten die Forscher noch eine germanische Siedlung mit einer Feinschmiede, die in etwa vergleichbar ist mit einem Juwelier oder Goldschmied. Das verrieten Gewandspangen, Bronzeschmuck und zerschnittene römische Münzen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Vattenfall Blog.