Mein größter Schatz wiegt 30 Tonnen. Das sagt Enrico Peiler. Schon während seines Wehrdienstes wartet er vor allem russische Maschinentypen des NVA-Flugparks. Vor zwei Jahren fanden er und seine Vereinskollegen vom Flugplatzmuseum dann ein russisches Passagierflugzeug zwischen Apfelbäumen. Sie holten das Schmuckstück der Aeroflot nach Cottbus – zu Besuch bei der „Tussi“.

Der gemeinnützige Verein Flugplatzmuseum Cottbus e.V. betreibt das Freiluftmuseum, Foto: Andreas Franke für LEAG

Bitte einsteigen! Heute starten keine Flieger mehr vom einstigen „Flughafen der Niederlausitz“, dafür befindet sich dort ein Freiluftmuseum, das die Geschichte der Luftfahrt erzählt. Auf über vier Hektar sind rund 50 Maschinen und Kfz-, Sicherheits- und Militärtechnik aus russischen und NATO-Beständen ausgestellt. Besucher erwartet eine Zeitreise mit Exponaten zum Anfassen: Mit Erlaubnis darf hier auch auf dem Pilotensitz Platz genommen werden.

101 Vereinsmitglieder zählt das Flugplatzmuseum. Mit Eintrittsgeldern, Mitgliedsbeiträgen und Spendeneinnahmen finanzieren sie den Erhalt und ihre Restaurationsprojekte. Einer von ihnen ist Enrico Peiler, Steiger Elektrotechnik im Tagebau Jänschwalde. Ihm verdanken sie die „Tussi“ - so der Spitzname des russischen Passagierflugzeugs.

Vom Stasi-Stützpunkt in den Gemüsegarten

Neun Traktoren schleppten das Flugzeug kurz nach der Wende in Baumanns Garten, wo es bis 2017 brach lag, Foto: privates Archiv Baumann

Fast 30 Jahre imponierte die 37 Meter lange Tupolew im Vorgarten von Ernst Baumann in Grünz (Mecklenburg-Vorpommern). Die riesige Passagiermaschine flog bis 1984 für die sowjetische Aeroflot und die Moskauer Staatsmacht um die Welt. Dann wurde sie der DDR-Staatssicherheit als Anti-Terror-Übungsobjekt überlassen. Mit ihr trainierten die Spezialkräfte in der Nähe von Baumanns Heimatort für Einsätze bei Flugzeugentführungen.

Gastwirt Baumann entdeckte das Flugzeug kurz nach der Wende und erwarb es für 1.000 D-Mark. Neun Traktoren waren nötig, um den nicht mehr flugfähigen fast 30-Tonnen-Koloss über abgeerntete Äcker vom Stasi-Dienstobjekt Wartin bis in Baumanns vier Kilometer entfernten Gemüsegarten zu befördern. Zunächst wollte Baumann ein Café im ehemaligen Verkehrsflieger einrichten. Der Traum scheitert aber am Widerstand der Behörden. So fristete die Maschine bis 2017 ein unauffälliges Dasein zwischen Apfelbäumen und Kartoffelfeld.

Letzte Reise für die „Tussi“

Der entkernte Rumpf des Riesenvogels wird durch einen Schwerlastkran von seinem Dauerparkplatz in Mecklenburg-Vorpommern gehoben, um die Reise nach Cottbus anzutreten, Foto: Archiv Flugplatzmuseum Cottbus

Als die Cottbuser Flugplatzfreunde die Tupolew dort entdecken, überzeugten sie Baumann, ihnen das Passagierflugzeug zu überlassen. Die Euphorie war groß. Genauso wie der Kostenberg. „10.000 Euro betrug nur der Kaufpreis. Dreimal so viel kam noch für Genehmigungen, Spezialwerkzeuge, die Demontage und den Transport nach Cottbus hinzu“, erinnert sich Enrico Peiler.

Ein Jahr Planung und Vorbereitung waren dafür nötig. In Hunderten Arbeitsstunden zerlegten freiwillige Helfer die Tupolew. Am 17. Oktober 2017 war es dann so weit. Allein die Verladung des mehr als 30 Meter langen und drei Meter breiten Rumpfes dauerte über zwei Stunden und beanspruchte vier Schwerlaster und einen Schwerlastkran. Um der „Tussi“ den 260 Kilometer langen Weg zu bereiten, wurden eine extra Behelfsstraße gebaut, vier Bäume gefällt, ein Storchennest umgesetzt und die Autobahn A11 nachts teilweise komplett gesperrt. Nach sechseinhalb Stunden konnte das Flugplatzmuseum sein größtes Ausstellungsstück dann in Empfang nehmen.

Im Innenraum der Tupolew: Flugzeugrestauration ist Handarbeit, Foto: Andreas Franke für LEAG

Vogel mit Feuchtschäden

Dann begann mit der Restauration die eigentliche Arbeit für Enrico Peiler.

Der ehemalige Flugzeugtechniker Enrico Peiler engagiert sich seit 1995 im Flugplatzmuseum Cottbus e.V. und geht hier seiner Leidenschaft mit viel Herzblut nach, Foto: Andreas Franke für LEAG

Fünfmal die Woche ist er draußen, der Flugplatz ist sein zweites Zuhause. Dort bringen er und seine Vereinskollegen den hohlen Vogel ohne Tragflächen und Innenleben, aber mit Feuchtschäden nach jahrzehntelangem Freiluftparken auf Vordermann. Die Fahrwerke müssen ausgebaut und der Innenraum und alte Einzelteile konserviert werden, bevor nach der Montage kein Rankommen mehr ist.

Projektleiter Enrico Peiler zeigt sich zuversichtlich. In diesem Jahr noch will er mit seinem Team das Flugzeug wieder so zusammenbauen, dass Museumsbesucher ins Innere der Maschine können. „Nach der Restauration soll im Passagierraum die außergewöhnliche Geschichte der Maschine ausgestellt werden und das vordere Abteil verwandeln wir in seinen Ursprungszustand zurück.“

Bis dahin werden noch einige Jahre ins Land gehen. Wie viele, weiß er auch nicht. „So ein Projekt macht man nur einmal im Leben, schon deshalb zähle ich nicht.“

 

Fakten-Check: TUPOLEW TU-134 A

Erstflug: 29.07.1963
Produktionszeit: 1966 – 1984
Stückzahl: 852
Spannweite: 29,01 Meter
Länge: 37,05 Meter
Höhe: 9,14 Meter

Die TUPOLEW TU-134 A ist ein zweistrahliges Kurzstreckenflugzeug des sowjetischen Herstellers Tupolew für bis zu 80 Passagiere.

Besuchern des Flugplatzmuseums Cottbus bietet sich ein spannender Einblick in vergangene Zeiten, Foto: Andreas Franke für LEAG

Auf den Geschmack gekommen?

Statten Sie dem Flugplatzmuseum Cottbus e.V. einen Besuch ab!

Die Tupolew hat ihr neues Zuhause im Freiluftmuseum gefunden, Foto: Andreas Franke für LEAG

Wo? Fichtestraße 1, 03046 Cottbus
Wann? März – Oktober:
Di – Fr: 10 – 16 Uhr,
Sa – So: 10 – 17 Uhr
November – Februar:
Di – Sa: 10 – 16 Uhr


Weitere Infos finden Sie unter www.flugplatzmuseumcottbus.de.

 

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Autor

Charlott Marie Ziersch

Aufgewachsen in der Lausitz, kaufmännisch ausgebildet im Bergbau, nebenberuflich BWL studiert und seit 2018 als Quereinsteigerin in der internen Kommunikation. Insgesamt fast neun Jahre zähle ich zum Inventar des Energiekonzerns. Unseren 8.000 Mitarbeitern einen reibungslosen Informationsfluss zu ermöglichen – egal ob analog oder digital – das ist meine Aufgabe. Dabei fasziniert mich die überdimensionale Technik im Unternehmen genauso wie die Menschen dahinter. Ihre Geschichten sind es wert erzählt zu werden.

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