21.07.2020

Auf der Suche nach einem Lausitzer Ausflugsziel, das Abenteuer und Bildung miteinander verbindet, wurde ich im Archäotechnischen Zentrum Welzow (ATZ) fündig. Statt verstaubter Museumsatmosphäre erwartet mich eine Ausstellung zum Anfassen und Ausprobieren. Die Entwicklung des Menschen über die Jahrtausende lernen die Besucher interaktiv kennen.

 

Der Leiter des ATZ, Dr. Hans Joachim Behnke, erklärt bei Grabungsarbeiten in der Lausitz, was es bei der Hebung von wertvollen Funden zu beachten gibt, Foto: Volkmar Küch

Jahreszahlen für das Fach Geschichte auswendig zu lernen, machte mir in der Schule keinen Spaß. Es fehlte einfach der Bezug zur „grauen Vorzeit“. Anders sieht es im Archäotechnischen Zentrum Welzow aus. Besucher aller Altersklassen erfahren praxisnah Wissenswertes über die menschliche Vergangenheit. Die Besonderheit des ATZ Welzow besteht in dem einzigartigen pädagogischen Ansatz. Glasvitrinen mit zerbrechlichen Objekten suche ich vergebens. Möglich macht das die Verwendung originalgetreuer Repliken archäologischer Fundstücke, hergestellt mit Methoden der Archäotechnik. „Im Mittelpunkt der Archäotechnik steht das Erforschen und Umsetzen altertümlicher Verfahrens-und Arbeitsweisen“, erklärt mir Dr. Hans Joachim Behnke, der Leiter des ATZ Welzow. „Ausprobieren ist bei uns deshalb ausdrücklich erwünscht. Durch das Berühren und Anheben lassen sich das Gewicht oder die Größe eines Gegenstandes besser erfassen. Das bedeutet ‚Begreifen‘ im wahrsten Sinne des Wortes“, meint Behnke.

Im Auftrag der Bildung

Möglichst viel Wissen um Altertumskunde – wie historische Handwerks-, Landwirtschafts- oder Jagdtechniken – an die Besucher weiterzugeben, habe sich das Team des ATZ als außerschulische Bildungseinrichtung zur Hauptaufgabe gemacht, erklärt mir Behnke. „Unsere Einrichtung vermittelt vor allem Grundlagenkenntnisse und beantwortet Fragen, wie: Woher kommt Energie, wenn der Strom fehlt? Oder: Wie lebt es sich ohne Handy, Lampe oder Kühlschrank?“ Behnke weiß: „Museen sind wichtig, denn sie bedeuten kulturelle Bildung. Insbesondere in Zeiten von Corona sind sie Gold wert, denn Schulunterricht fand zuletzt nicht wie üblich statt“, betont der studierte Archäologe.

Werkzeuge der Steinzeit: Was den Menschen heute durch Maschinentechnik abgenommen wird, brauchte damals viel Erfindungsreichtum. Bestimmte Erkenntnisse erschließen sich den Wissenschaftlern erst durch den Nachbau in der Praxis, Foto: LEAG

Versuch macht klug

Einen weiteren Schwerpunkt des ATZ bildet die experimentelle Archäologie. Was bei den Versuchen unter kontrollierten Bedingungen an Erkenntnissen gewonnen wird, halten die Archäotechniker fest, um es später den Besuchern des ATZ zu vermitteln. „Zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen helfen manchmal Nachbauten und Experimente. Derzeit arbeite ich gemeinsam mit einem Archäologiekollegen an der Herstellung eines Schwertes aus Bronze“, erzählt Behnke, der sich auf die Bronzezeit spezialisiert hat. „Wir stellen es her wie die Menschen vor 3.000 Jahren. Experimentalarchäologie wird hier gelebt“, erläutert er mir.

Echte Schätze

Kristine Messenbrink zeigt mir die Holzspeere. Sie waren ein wichtiges Utensil für steinzeitliche Jäger und gelten als die ältesten Jagdwaffen des Menschen, Foto: LEAG

Neugierig starte ich auf meinen Rundgang durch die zentrumseigene Ausstellung. Hier begleitet mich Kristine Messenbrink, die sich um die Kommunikation und das Marketing im ATZ kümmert. Sie zeigt mir einige besondere Nachbauten, sogenannte Repliken, deren schwierige Herstellung sie zu wahren Raritäten in Museen machen. „Viele der stein- und bronzezeitlichen Arbeitstechniken können nicht einfach nach Anleitung nachgeahmt werden, sondern benötigen langjährige Erfahrung. Archäotechniker in Deutschland, die Objekte wie den steinernen Fischschwanzdolch und die Bronzewerkzeuge herstellen können, lassen sich an einer Hand abzählen. Dadurch sind die Nachbildungen äußerst wertvoll“, erzählt mir Messenbrink.  

Holz ist das Thema der Ausstellung

Ein besonderes Verhältnis pflegte der Urzeitmensch zum Werkstoff Holz sowie zur Holzbearbeitung. „Holz spielte in allen Epochen – der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit – eine zentrale Rolle“, hatte mir Behnke bereits eingangs erklärt. Das ATZ befasst sich daher mit dem Holz als Gegenstand der zentrumseigenen Dauerausstellung „Mensch – Holz – Archäologie“. Hier wage ich einen Selbstversuch und merke beim Holzspalten schnell, dass es für den richtigen Umgang einiger Übung bedarf. Mit meiner Vorstellung vom Höhlenmenschen lag ich daneben. „Tatsächlich haben viele ein falsches Bild vom früheren Menschen, denn er verfügte über stabile Werkzeuge und clevere Jagdstrategien“, bestätigt mir der ATZ-Leiter nach meinem Rundgang.

Holz wird vom Menschen seit Jahrtausenden vielseitig eingesetzt und trug zur Anfertigung von Werkzeugen maßgeblich bei. Als Naturmaterial ist Holz einerseits hart, andererseits gut bearbeitbar, Foto: LEAG

Seltene Gelegenheit für die Wissenschaft

Mit dem Bergbau im Lausitzer Revier traten zahlreiche Zeugnisse menschlicher Existenz an die Oberfläche. Für Archäologen bedeutet das einen reichen Schatz an Funden. „Tagebaue sind wissenschaftlich betrachtet für uns Archäologen äußerst wertvoll“, erzählt Behnke. „Derart umfangreiche und großflächige Grabungen finden sonst nirgendwo statt und ermöglichen uns ergiebige und erkenntnisreiche Untersuchungen“. Bei der Braunkohlegewinnung dringe der Mensch in tiefe Erdschichten vor. Dabei kämen so einige spektakuläre Funde ans Tageslicht, erfahre ich. Doch Licht und Luft seien den Funden nicht immer zuträglich – dies gilt vor allem für die bei Ausgrabungen gefundenen Hölzer. Um sie zu erhalten, werden sie im neben dem ATZ befindlichen Clara See eingelagert. Diese Methode zur Konservierung ist in Europa einmalig. Taucher verstauen das Holz, darunter Teile eines mittelalterlichen Einbaums, in dafür vorgesehen Stallgitterboxen am Grund des maximal 1,90 Meter tiefen Sees.

Alte Gemüsesorten und Kräuter wachsen auf der Außenanlage. Sogar die Begrenzung der Beete wurde mit Naturmaterialien gestaltet, Foto: LEAG

Naturgenuss im Epochengarten

Bei den Kindern besonders beliebt sind die „Steinzeitschafe“. Gern kommen sie für eine Streicheleinheit oder einen Leckerbissen den Besuchern näher, Foto: LEAG

Der See liegt gleich neben dem zum Zentrum gehörenden großen Außengelände – ein grünes Idyll, wie mir sofort auffällt. Verschiedene Nutzpflanzen aus den Epochen Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit und Mittelalter pflanzt das ATZ-Team hier an.

„Wir bieten Workshops für Schulklassen, Familien oder kleinere Gruppen, in denen Mahlzeiten über offenem Feuer zubereitet werden. Zudem probieren wir vorgeschichtliche Handwerkstechniken wie die Feuerstein- oder Holzbearbeitung aus“, berichtet Behnke. „Abends lassen wir den Tag am knisternden Lagerfeuer ausklingen.“

Museumspädagogische Kurse zum Bauen eines eigenen Ritterschwertes oder das Projekt ‚Archäoaktiv‘ für Schulklassen fänden ebenfalls im Epochengarten statt und begeisterten die jungen Besucher, so der Museumsleiter. Auch grundlegende Kenntnisse urzeitlicher Jäger und Sammler über Nahrungsangebote und Heilkräuter aus der Natur werden bei Workshops vom ATZ-Team weitergegeben.

Ein Erlebnis der besonderen Art für kleine Abenteurer ist auch die Übernachtung in einem Tipi. Wie die Vorfahren einst wohnten, erleben sie hautnah mit. Ich stelle es mir sehr spannend vor, den Geräuschen der Nacht vom Tipi aus zu lauschen.

In den Tipis wie unsere Vorfahren zu schlafen und die Nacht draußen zu verbringen ist gerade für Kinder ein tolles Erlebnis, Foto: LEAG

Mit Sicherheit durch die Ausstellung

Im Museumsshop des ATZ Welzow können Besucher hygienische Schutzhandschuhe kaufen, denn die Ausstellung ist zum Anfassen. Einen Mund-Nasen-Schutz brauchen Gäste nur am Eingang, Foto: LEAG

Doch dieses Erlebnis muss ich zurückstellen. Die Corona-Krise hat auch im ATZ einiges durcheinander gebracht. Dem Museum seien sämtliche Einnahmen weggebrochen, berichtet mir Zentrumsleiter Behnke „Wir beantragten schließlich Fördermittel, die genehmigt wurden. Das half uns sehr“, sagt er.

Infolge der Lockerungen öffnete auch das ATZ seine Pforten wieder. Wichtige Hygienevorkehrungen zum Schutz der Gäste und Mitarbeiter sind getroffen worden.

„Weil wir ein Museum zum Anfassen sind, sollten Besucher nach Möglichkeit Handschuhe mitbringen“, erklärt mir Behnke. „Die Reinigung und Desinfektion aller Gegenstände in unserer Ausstellung können wir nicht umsetzen. Da sind Kosten und Aufwand einfach zu groß“, sagt er. Schon jetzt erfolge eine gründliche Desinfektion nach jedem Besucher. Insbesondere bei den Sanitäranlagen, an Türklinken und Ähnlichem werde auf Hygiene Wert gelegt, betont Behnke.

Weil die Besucher in der Regel keine Schutzhandschuhe dabeihaben, besteht die Möglichkeit diese im Museumsshop zu erwerben. Einen Mund-Nasen-Schutz benötigen die Gäste nur im Eingangsbereich mit Museumsshop. In der Ausstellung dürfen unter Einhaltung der Abstandsregel von 1,50 Meter die Masken abgesetzt werden. Derzeit lässt das ATZ Gruppen mit einer Größe von maximal 15 Personen ein.

„Häufig kommen bei uns Familien vorbei, sodass wir keine Probleme mit der Besucherbeschränkung haben“, erzählt Behnke. Das Übernachtungsangebot ist vorerst noch ausgesetzt, aber das tut meinem Besuch im ATZ an diesem Tag keinen Abbruch. Ich bin nun neugierig geworden und mache mich deshalb auf, um nur wenige Kilometer von Welzow entfernt einen Blick in das aktive Tagebaufeld von Welzow-Süd zu werfen.

Der neue Aussichtspunkt Süd bei Proschim ermöglicht einen Blick in den aktiven Tagebau Welzow-Süd. Auch hier stießen Archäologen auf Gegenstände unserer Vorfahren aus der Region. Schilder der LEAG informieren zum Tagebau in der Region, Foto: LEAG

Von der Vergangenheit zur Gegenwart

Der Tagebau in der Region beschert den Archäologen einmalige Einblicke in die Geschichte. Nahe der Ortschaft Proschim, befindet sich der neue Aussichtspunkt Süd, der es mir ermöglicht, den Bergbau und die dafür notwenigen Großgeräte bei der Arbeit zu beobachten. Infotafeln geben Auskunft über die jetzigen Aktivitäten und über die künftige Rekultivierung.

An dieser Stelle schließt sich der Kreis von Gegenwart und Zukunft. Eine interessante Reise in die Vergangenheit habe ich bereits hinter mir.

 

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Autor

Constanze Kuba

Die Lausitz hat viele Gesichter: landschaftlich, kulturell, menschlich. Und das macht die Region zu etwas Besonderem für mich. Deshalb zieht es mich nach dem Studienabschluss im nächsten Jahr in meine Heimat zurück. Ich verbringe derzeit mein praktisches Studiensemester in der Kommunikation der LEAG. So lerne ich viel Neues über die Lausitz, in der ich mich zuhause fühle. 

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