27.11.2018

Torsten Pötzsch ist Oberbürgermeister der Stadt Weißwasser und Sprecher der Lausitzrunde, in der parteiübergreifend 23 gewählte Bürgervertreter von kleinen Gemeinden bis hin zum Landkreis rund eine Million Lausitzer aus Brandenburg und Sachsen vertreten. Gemeinsam mit seinen Kollegen bringt Pötzsch kommunale Belange in den Prozess der Strukturentwicklung ein. Mareike Huster sprach mit ihm über die Chancen der Lausitz und was es braucht, um einen Strukturwandel zu schaffen.

Kartenausschnitt aus dem Lausitzer Revier: Weißwasser liegt am Rand des Tagebaus Nochten, zum Vergrößern bitte klicken, Grafik: LEAG

Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus: Städte wie Weißwasser profitieren hauptsächlich vom Industriefaktor Braunkohle. Beschäftigungs- und Ausbildungsquote, Steuereinnahmen, Mittelstand und Dienstleistungssektor sind nach dem Wende-Strukturbruch vergleichsweise stabil. Schafft die Region noch einen zweiten wirtschaftlichen Bruch? 

Auf keinen Fall. Wenn wir nach Weißwasser schauen – eine Stadt, die in der Nachwendezeit mit Glasproduktion und Energieerzeugung gleich zwei wirtschaftliche Standbeine verloren hat –, sehen wir die Folgen, die heute noch schwer nachwirken. Als Jugendlicher musste ich damals hilflos zusehen, wie sich die Stadt binnen kürzester Zeit halbierte, Freunde und Bekannte wegzogen. Mit dieser Generation ging viel Fachwissen und Zukunftsgeist. Diese fatale Entwicklung ging natürlich auch zu Lasten derer, die geblieben sind, weil mit dem Wegzug auch kommunale Infrastrukturen und Lebensqualität zusehends schrumpften. Auf diesem Nährboden wächst Unzufriedenheit schneller.

Torsten Pötzsch, Foto: LEAG

Teilen Sie die Befürchtung, dass der erneut drohende Arbeitsplatzverlust durch einen beschleunigten Braunkohleausstieg zu weiterem gesellschaftlichen Unmut führt?

Die Wahlprognosen sind ein sehr lauter Warnschuss für alle in den politischen Zentren des Landes. Wenn wir darauf nicht reagieren und die Menschen ernsthaft bei ihren Themen mitnehmen, werden das Meinungsmacher am politischen Rand übernehmen. Gerade die zahlenmäßig schwachen Nachwuchs-Generationen in der Region brauchen jetzt ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Sicherheit und eine liberale Atmosphäre, um hier gemeinsam etwas Neues aufzubauen. Bei Kooperationsprojekten mit den städtischen Gymnasien habe ich viele Jugendliche getroffen, die genau das wollen. Ich hoffe, wir können sie in der Lausitz halten.

Durch Ihr Engagement im Jugendbereich sind Sie ohnehin viel in Kontakt mit dem Lausitzer Nachwuchs. Ist eine langfristige Zukunft in der Heimat überhaupt eine Option für die Jungen?

Die Lausitz hat neben dem hoffnungsvollen Nachwuchs in dieser Hinsicht sogar eine weitere Chance – die Rückkehrer. Jede Woche telefoniere ich mit Menschen, die den Weg in ihre alte Heimat suchen, weil es hier bezahlbare Grundstücke und eine höhere Lebensqualität als in den überfüllten Ballungsräumen gibt. Voraussetzung für diesen Schritt ist natürlich eine langfristige Jobperspektive. Erst gestern habe ich mit einem Rückkehrer gesprochen, der einen Job bei SKM (Baustoff-und Maschinenhersteller in Boxberg) gefunden hat. Wenn es uns gelingt, die Jungen zu halten und eine Existenzgrundlage für Rückkehrer zu schaffen, die sich mit ihren Familien in der Region langfristig niederlassen, können wir den demografischen Abwärtstrend stoppen.  

Am 11. Oktober besuchte die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung Weißwasser im Rahmen des Revierbesuchs Lausitz. Die IG BCE hatte zur Demonstration aufgerufen, neben den Beschäftigten der Braunkohleindustrie waren auch Einwohner von Weißwasser mit dabei, unter anderen die Jugendabteilung des Eishockeyvereins Lausitzer Füchse, Foto: Andreas Franke für LEAG

Was braucht es für eine erfolgreiche Strukturentwicklung?

Alltag: Torsten Pötzsch bei der Übergabe des wiederhergestellten Ziegeleiteichs im Juni 2018. Er wird zukünftig zentraler Punkt im Baugebiet „Innenstadt II“ sein, Foto: LEAG

Die Weichen für eine solche Transformation müssen wir in den nächsten drei bis fünf Jahren stellen. Keine der regionalen Kommunen ist ansatzweise für die Generationsaufgabe regionale Strukturentwicklung aufgestellt. Neben Finanzhilfen brauchen wir deshalb vor allem Projektträger mit Erfahrung und regionalem Netzwerk.

Sie haben einen Wunsch frei: Wie sieht Ihr Weißwasser 2050 aus? 

Das Weißwasser von morgen ist eine kleine pulsierende Stadt mit 20.000 Einwohnern und attraktiver Infrastruktur. In die ehemalige Ingenieursschule ist ein Ausbildungszentrum für industrielle Berufe eingezogen, in dem Jugendliche aus ganz Deutschland lernen. Der eingesessene regionale Mittelstand konnte mit öffentlicher Unterstützung zu einer stabilen wirtschaftlichen Basis von fünf mittelgroßen Unternehmen ausgebaut werden, die Produkte und Leistungen für Zukunftsbranchen erbringen. Gemeinsam bringen sich Rückkehrer, Gründer und private Bürgerinitiativen für ein vielfältiges kulturelles Leben in dieser Stadt ein.

 

 

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Autor

Mareike Huster

Seit mehr als 15 Jahren ist das Lausitzer Revier meine Heimat – Privat und im Dienst. Themen, die bewegen - Geschichten, die erzählt und Menschen, die einfach vorgestellt werden müssen – das ist mein Job. Seit 2017 bin ich verantwortlich für die Kommunikation mit den rund 8000 Mitarbeitern der LEAG.

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