Fertig zum "Lauschangriff": Der Aufbau der Akustischen Kamera von der Rückseite, Foto: LEAG
Am 29. April 2020 ist der Tag gegen den Lärm. Im Fokus steht der Schutz davor, denn Lärm macht krank. Wo große Maschinen arbeiten, ist es besonders häufig laut. Bei LEAG arbeiten viele große Maschinen, und gleichzeitig arbeiten viele Menschen permanent daran, diese Maschinen leiser zu machen. Im Industriepark Schwarze Pumpe wird Braunkohle beinah rund um die Uhr zu Briketts, Wirbelschichtkohle und Braunkohlenstaub veredelt. Hier haben sich BTU-Forscher im Auftrag von LEAG ganz genau umgehört, um dem Lärm auf die Spur zu kommen.
Es war kein heimlicher Lauschangriff, als sich drei Forscher der BTU Cottbus-Senftenberg über Monate hinweg mit viel technischem Gerät auf dem Gelände der Kohle-Veredlung im Industriepark Schwarze Pumpe aufhielten. Dafür waren allein die Geräte schon zu auffällig. Eine große runde blaue Platte, befestigt an einem Stativ und mit Computertechnik bestückt, bauten die Forscher gleich an mehreren Orten auf. Bei dieser Platte handelt es sich um eine akustische Kamera, also ein Messgerät für den Schall mit einem bildgebenden Verfahren. Nicht nur zu ebener Erde setzten die Forscher, Robert Schneider, Tim Fritsch und Jan Magister, alle drei tätig im Fachgebiet „Gestaltung von Produktionssystemen/ Werkzeugmaschinen“ am Campus in Senftenberg, ihre Technik ein. Auch hoch empor wollten sie damit. Auf den Dächern der Veredlung waren sie unterwegs genauso wie in einer Hubarbeitsbühne, die sie in luftige Höhe hob, um den Ausgängen der Abluftschornsteine an den Entstaubungsanlagen ganz nah zu kommen.
Tatort Industriepark: Hier ist die Veredlung der LEAG ansässig, Foto: LEAG
Mission: Besser sein als der Stand der Technik
Der Tatort im Detail: Großes Potential für Geräuschdämmung gibt es am Radialventilator und den angeschlossenen Kaminrohren, Foto: LEAG
Denn sie hatten eine Mission: dem Lärm in der Kohle-Veredlung auf die Spur kommen. Den Auftrag für ihre Mission hatten sie von der LEAG bekommen. Dr. Dirk Täschner arbeitet bei der LEAG in der Abteilung Umweltschutz/Genehmigungen. Er entwickelte gemeinsam mit den Kollegen des Veredlungsbetriebs ein Konzept, um die Geräusche der Kohle-Veredlung nachhaltig zu minimieren. Mit ins Boot holte er die BTU Cottbus-Senftenberg, mit der LEAG bereits seit vielen Jahren eng kooperiert. „Der Stand der Technik hat für uns immer oberstes Gebot“, macht er gleich zu Beginn des Gesprächs klar. „Aber, wenn möglich, wollen wir zum Schutz der Menschen noch besser sein.“ Daher hätte man sich bei der LEAG entschieden, mit einem Investitionsprogramm den Lärmschutz an den Kohle-Veredlungsanlagen weiter zu verbessern, berichtet er. „Zunächst ging es darum, die Geräuschquellen und ihre Ursachen zu finden. Erst auf Basis dieser Erkenntnisse war es möglich, gezielt wirksame Abhilfe zu schaffen“, schildert Täschner den Ansatz zur Lösungssuche.
Dem Lärm auf der Spur: Die Forscher der BTU Senftenberg führten an 20 Standorten jeweils bis zu 10 Messungen durch, Foto: BTU
BTU Cottbus-Senftenberg setzt die akustische Kamera ein
Mit Robert Schneider, Tim Fritsch und Jan Magister hatte die LEAG drei erfahrene BTU-Ingenieure auf diesem Feld an Bord. Robert Schneider ist der Fachmann für die akustische Kamera. Ich frage ihn, was dieses Gerät nun eigentlich kann - Bilder aufnehmen oder Geräusche aufzeichnen oder beides gleichzeitig? Er erklärt, dass in der Mitte der einen Meter großen runden Scheibe eine Videokamera befestigt ist und auf der Scheibe 256 Mikrofone kreisförmig angeordnet sind. Also kann sie beides und noch ein bisschen mehr. Schneider erläutert weiter: „Der Schall hat eine bestimmte Ausbreitungsgeschwindigkeit. Das heißt ausgehend von seiner Quelle trifft er zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf die einzelnen Mikrofone auf. Das in der Kamera integrierte Computersystem errechnet daraus den genauen Ort der Schallquelle und übersetzt die Ergebnisse in einem dazugehörigen Bild, auf dem die Geräuschquellen farblich hervorgehoben werden.“ Der Zeitversatz beim Auftreffen des Schalls beliefe sich dabei natürlich nur auf einen Bruchteil einer Sekunde, macht Schneider klar. Für ein menschliches Ohr also nicht zu unterscheiden, für einen Computer aber kein Problem.
Einsatz der Akustischen Kamera der BTU Cottbus-Senftenberg auf einer Hubbühne der LEAG Werkfeuerwehr zur Vermessung einer Entstaubungsanlage, Fotos: LEAG
Optimierungsbedarf an Entstaubungsanlagen
Forschungsarbeit in eisigen Höhen, Foto: LEAG
Auf ihrer Tour quer durch das Gelände der Kohle-Veredlung machten sie an rund 20 Standorten halt. Am Ende war klar, dass an den Entstaubungsanlagen der Kohle-Veredlung der größte Optimierungsbedarf vorherrschte und dort weitere Untersuchungen sinnvoll wären. Um den Ort der Geräuschquelle noch exakter bestimmen zu können, kam ein zweites Instrument zum Einsatz: eine Schallintensitätssonde ausgestattet mit zwei Mikrofonen. Für dieses Instrument ist Tim Fritsch der Experte. Mit ihr hat er die Intensität der Geräusche aufgenommen. Dafür ist er mit einem Handgerät um die Entstaubungsanlagen herumgelaufen oder mit der Hubarbeitsbühne an die Öffnungen der Abluftkamine herangefahren. Die drei Ingenieure wollten genau wissen, wo die richtungsabhängige Intensität der Geräusche am stärksten ist, vergleichbar mit der Schallintensität pro Fläche. Bis zu 10 Aufnahmen pro Messpunkt waren nötig, um auch die Fläche ringsum den Messpunkt ausreichend abtasten zu können. „In der Entstaubungsanlage untersuchten wir die Öffnung des Kaminrohrs und den Radialventilator ganz genau. Dabei stellte sich heraus, dass die hauptsächliche Geräuschquelle der Radialventilator war, der sich am unteren Ende des Kaminrohrs befindet“, erläutert Schneider. Bis zu drei Minuten dauere eine Messung, erzählt Schneider und kann sich noch gut erinnern, wie unangenehm dieses umfangreiche Messprogramm im Winter sein konnte. „Mein Kollege Tim Fritsch stand an einem kalten Wintertag etwa eine halbe Stunde auf der Hubarbeitsbühne in luftiger Höhe. Dort oben war es sicher noch kälter als am Boden. Am Ende hatte er sich eine starke Erkältung eingefangen und musste erst einmal das Bett hüten“, so Schneider.
Mündungsöffnungen einer Entstaubungsanlage detektiert mit der Akustischen Kamera am Industriestandort Schwarze Pumpe, Foto: BTU Cottbus-Senftenberg
Nach den Messungen folgen technische Änderungen
Die neuen Plattenresonatoren dämpfen den Schall, Foto: LEAG
Bei den Entstaubungsanlagen der Kohle-Veredlung, die beinah rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche in Betrieb sind, saugt ein Radialventilator ein Staub-Luft-Gemisch aus den Produktionsräumen und leitet es in eine Abscheidetasse. Eine Wasserbedüsung trennt dabei den Staub von der Luft, die anschließend gereinigt durch ein Kaminrohr nach außen geführt wird. Für die Fachleute gab es also zwei Ansatzpunkte zum Optimieren. Zum einen galt es, die Radialventilatoren technisch auf Lärmminderungsmöglichkeiten zu überprüfen und zum anderen den Schall vom Radiator auf seinem Ausbreitungsweg durch das Kaminrohr, welches Geräusche besonders gut wiedergibt, zu dämpfen. „Anhand der Messergebnisse der BTU-Fachleute konnten wir unsere Konzepte erstellen, überprüfen und immer wieder nachjustieren“, erläutert LEAG-Fachmann Täschner. Über Monate habe sich der Erfassungsprozess hingezogen ehe es zu den technischen Änderungen kommen konnte.
Bislang wurden in vier von fünf Entstaubungsanlagen auf Basis der Erkenntnisse schallabsorbierende Plattenresonatoren eingebaut sowie strömungstechnische Verbesserungen und konstruktive Anpassungen an den Radialventilatoren vorgenommen. Noch in diesen Sommer soll auch der Umbau der fünften Anlage erfolgen. Ursprünglich geplant für April, musste auch hier, bedingt durch die Corona-Krise, der Zeitplan angepasst werden. Gebaut wurden die Plattenresonatoren von der Firma Nießing, einem spezialisierten Anlagenbauer, der bei der Konstruktion sehr genau die Geräuschcharakteristika der Entstaubungsanlagen berücksichtigt hat.
Abnahmemessungen nach Umbau überraschten positiv
Die Abnahme der vier umgebauten Anlagen fand im Dezember 2019 statt und die Ergebnisse der Messungen überraschten am Ende auch Täschner. „Die Ergebnisse waren wirklich sehr gut“, sagt er. „Sogar besser als wir erwartet hatten. Die Anlagen der Kohle-Veredlung sind jetzt deutlich leiser als vorher. Wir erfüllen damit die sehr hohen Umweltanforderungen, die an Produktionsanlagen gestellt werden und haben dank dieses innovativen Messkonzeptes auch in Zukunft die Möglichkeit, den Industriestandort mit seinen Anlagen weiter zu entwickeln“, sieht Täschner optimistisch in die Zukunft.