Chefin auf dem Leitstand bei der LEAG

07.03.2018

Frauen im Tagebau sind bei der LEAG nichts Ungewöhnliches. Aber einen Koloss wie die Abraumförderbrücke F 60 beherrschen nicht viele – was zugegeben auch daran liegt, dass es nur vier dieser Großgeräte in Deutschland gibt, alle vier bei der LEAG. Ich will die Frau mit dem fast einzigartigen Arbeitsplatz kennenlernen und habe mich auf den Weg in den Tagebau Welzow-Süd gemacht, zur Leitstandfahrerin Sibylle Koall. 

Nach dem Aussteigen aus dem Jeep treffe ich zufällig auf Frank Matthes, Leiter Brückenbetrieb. Er macht nicht viele Worte, als ich ihn nach Sibylle Koall frage: Sein Daumen geht hoch, begleitet von einem „patente Frau“. Was das genau heißt, würde ich selbst gleich erfahren. Auf geht’s: Stufe für Stufe, auf Plattformen entlang, wieder Stufen bis wir in etwa 30 Meter Höhe angekommen sind im Leitstand der Abraumförderbrücke. Hier ist Sibylle Koall seit 1998 die Chefin – wacht über Eimerkettenbagger, Planiergeräte und Bandanlagen.

Abraumförderbrücken sind die Maschinen im Tagebau, die vermutlich den größten Eindruck auf Besucher machen. Sie haben ein Gewicht von 22.000 Tonnen, eine Gesamtlänge von bis zu 600 Metern und bewegen sich mit mittleren Fahrgeschwindigkeiten von neun Metern pro Minute. Mit Baggern, Bandanlagen und Schütttechnik vereinen sie mehrere Arbeitsgänge in einem Gerät. 

Abraumföderbrücken nehmen weltweit eine Spitzenposition in der Riege mobiler Anlagen ein, Foto: Andreas Franke für LEAG

Sibylle Koall ist sozusagen groß geworden auf der Brücke. Gleich nach ihrer Ausbildung zur Maschinistin für Tagebaugroßgeräte von 1983 bis 1985 ist die heute 50-Jährige hierhergekommen, hat Planiergeräte gesteuert, qualifizierte sich zur Meisterin.

Ihr Vater, der als Elektromonteur in Schwarze Pumpe gearbeitet hat, hätte es gern gesehen, dass seine Tochter E-Lokfahrerin wird. Diese Ausbildung gab es für Frauen Anfang der 1980er Jahre allerdings noch nicht. In der Familie entstand so der Plan, den „Umweg“ zur Maschinistin zu nehmen. „Die Idee gefiel mir. Aber wir hatten so einen tollen Chef während der praktischen Ausbildung, der uns Auszubildende von Anfang an gefördert und uns Lehrgänge und Spezialisierungen ermöglicht hat. Dadurch wusste ich bald, Maschinistin, das ist das Richtige für mich“, erinnert sich Sibylle Koall. Die Lok war abgewählt. 

Ruhig bleiben, Übersicht behalten

Alles im Blick haben und rechtzeitig, ruhig und besonnen reagieren – das ist das Wichtigste für eine Chefin auf dem Leitstand, Foto: Andreas Franke für LEAG   

Während wir uns unterhalten, hat sie fast unbemerkt immer einen Blick auf die acht Bildschirme im Leitstand, springt auch mal auf, bedient Tastatur oder Schaltpult und lacht, als ich gestehe, dass ich gerade nicht verstanden habe, was aus einem der Lautsprecher zu hören war. „Band neun, ich wusste gleich, was der Kollege will“, sagt sie mir. Dinge schon spüren, bevor sie passieren, an den Vibrationen im Boden erkennen, ob sich irgendetwas verändert – nach 35 Jahren Erfahrung auf der Brücke, davon 25 Jahre als Brückenfahrerin, ist das für Sibylle Koall normal.

Seit 1996 kennen sich Sibylle Koall und ihr heutiger Steiger, Foto: Andreas Franke für LEAG 

Und wenn es mal nicht so läuft? Kleine technische Störungen sind alltäglich, erklärt mir die Mutter zweier Kinder und ergänzt: „So etwas bringt mich nicht aus der Ruhe.“ Das und immer die Übersicht zu behalten, seien die wichtigsten Voraussetzungen für eine Leitstandfahrerin, erklärt mir ihr Steiger Frank Kuchenbecker. Der Chef ihrer Schicht ist heute auf die Brücke gekommen, um Sibylle Koall zu vertreten, damit sie sich mit mir unterhalten und ihren Arbeitsplatz auch mal für Fotos verlassen kann. Er fährt mit einem Kompliment fort: „Sibylle ist die geborene Leitstandfahrerin.“ Sie habe außerdem das notwendige Durchsetzungsvermögen, das man braucht. Sie habe den Hut auf, wenn er nicht da sei. Das akzeptieren alle 13 Kollegen vor Ort – auch die Männer auf den Baggern. Letztendlich zähle die Erfahrung und da könne ihr keiner etwas vormachen. 

Unterwegs auf der F 60. Sibylle Koall zeigt mir ihren Arbeitsplatz, Foto: Andreas Franke für LEAG 

Urvertrauen in Mensch und Technik

25 Jahre am gleichen Arbeitsplatz – hatte Sibylle Koall nie den Wunsch, mal etwas Anderes zu machen, nach dem Meister vielleicht noch ein Ingenieurstudium? Sie verneint. Über die Jahre habe sich ja Vieles verändert – technisch und informationstechnisch. Selbstverständlich habe sie einen Computerlehrgang absolviert. Im Vergleich zu früher könne sie an ihren acht Bildschirmen heute viel tiefer eindringen in die technischen Parameter ihrer Brücke.

Also keine Langeweile? Auf keinen Fall entgegnet sie mir. Außerdem gäbe es auch Tage, an denen die Telefone nicht still stehen und die Kontrolllämpchen blinken. Regen und Sturm seien so Wetterlagen, die Schwierigkeiten bereiten können – oder wie Sibylle Koall in ihrer ruhigen Art sagt „nicht so schön“ sind. „Aber ich denke nicht vor jeder Schicht darüber nach, ob irgendetwas passieren könnte“, verrät sie mir. Warum sollte sie auch? Probleme bei der Mechanik, erklärt sie, lassen sich immer beheben. Man müsse nur die Ursachen finden. Für alles andere gibt es regelmäßig Notfallübungen. Aus Sibylle Koall spricht Urvertrauen in Mensch und Technik.  

Erfüllung im Beruf

Sibylle Koall liebt ihren Beruf und die Tätigkeit auf dem Brückenleitstand, Foto: Andreas Franke für LEAG

Allein fühlt sie sich übrigens nicht, so ganz weit oben über allem. Im Gegenteil: „Ich brauche nicht permanent Unterhaltung“, erzählt sie mir. Das heißt auf keinen Fall, dass die erfahrene Bergfrau nicht gern kommuniziert. Aber beim Schweigen könne sie sich auch von den familiären Pflichten und Verantwortungen erholen, sagt sie mit einem „von-Mutter-zu-Mutter“-Lächeln. Eine Familie mit zwei Kindern, einem Mann, der beruflich oft unterwegs ist, und ihr als Schichtarbeiterin – das will gut organisiert sein. Wobei – und das betont sie – ihre Schichtarbeit nie in Frage stand. Inzwischen sind ihre Kinder auch aus dem Gröbsten heraus, die Tochter macht in diesem Jahr ihr Abitur, der jüngere Bruder geht in die 5. Klasse.      

Für welchen beruflichen Weg sich die Geschwister mal entscheiden werden, ist noch offen. Aber was es auch sein wird, man kann ihnen nur wünschen, dass sie etwas finden, das sie ebenso erfüllen wird, wie das Leitstandfahrerin sein ihre Mutter erfüllt.      

Lernen Sie weitere Frauen kennen:  

Stefanie Mrosk, Francy Kuhlee, Corina Fiskal, Peggy Blaha, Katja Heinze, Heidi Kühn, Jessica Kircher-Grafe, Anna Maria Zech 

Schild Leitstand
1/6 Der Brückenleitstand ist Sibylle Koalls Arbeitsplatz, Foto: Andreas Franke für LEAG
Eimerkettenbagger
2/6 Zur Förderbrücke im Tagebau Welzow-Süd gehören unter anderem zwei Eimerkettenbagger, Foto: Andreas Franke für LEAG
Acht Monitore
3/6 Acht Monitore muss Sibylle Koall im Auge behalten. Sie zeigen die technischen Parameter der Brücke, die Arbeit der Bandanlagen und Fahrwerke sowie die Tätigkeiten der beiden Eimerkettenbagger, Foto: Andres Franke für LEAG
Langer Weg
4/6 Von der Fahrwerksebene bis an ihren Arbeitsplatz muss die Leitstandchefin etwa 30 Meter Höhe überwinden, Foto: Andreas Franke für LEAG
Eimerketten
5/6 Gleichmäßig Runde um Runde nehmen die Baggerschaufeln den Abraum auf, Foto: Andreas Franke für LEAG
mit Kuchenbecker
6/6 Frank Kuchenbecker hält große Stücke auf seine Brückenfahrerin. Als Steiger trägt er die Verantwortung für einen Teil des Bergwerks und die ihm unterstellten Personen, Foto: Andreas Franke für LEAG

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen?

Dann schreiben Sie uns

Themen

Teilen

Autor

Elvira Minack

Nachdem ich über 30 Jahre als Pressesprecherin und verantwortliche Redakteurin in Ostbrandenburg und in Franken gearbeitet habe, kam ich 2009 ins Unternehmen. Seit dem Herbst 2017 arbeite ich in der externen Kommunikation. 

Mehr von Elvira Minack