Es ist heiß an diesem Juli-Tag in der Lausitz. Die Sonne brennt vom Himmel. Im Vorfeld des Tagebaus Welzow-Süd bietet kein Baum mehr Schatten, denn die Abraumgeräte, die die obersten Erdschichten abtragen, sind nur wenige hundert Meter entfernt von dem Arbeitsort der Archäologen. Sie rücken mit jedem Tag dichter an die 14,3 Hektar große Grabungsfläche heran und drängen die Archäologen zur organisierten Eile.
Doch damit weiß das Team von Dr. Verena Hoffmann umzugehen. „Die Planung mit der LEAG ist sehr langfristig angelegt. Das nützt unserer Arbeit natürlich, weil auch wir so sehr gut planen können. Für den Fall eines umfangreichen Fundes lassen wir uns immer ein Zeitpolster“, versichert die Archäologin. In der Sonnenbrille von Dr. Verena Hoffmann spiegelt sich der erste bedeutende Fund, den sie auf dieser Grabungsfläche gefunden hat. Es ist ein halbes rot-rostiges Hufeisen.
Von hohen und niederen Strassen
Es ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten, als an diesem Ort eine hochmittelalterliche Handelsstraße entlangführte: die Zuckerstraße. Als Nebenstrecke der via regia, auch „Hohe Straße“ genannt, führte diese „Niedere Straße“ über mehr als 1000 Kilometer von Schlesien im Osten bis an den Rhein im Westen. „Der Name ‚Zuckerstraße‘ für den Streckenabschnitt zwischen Spremberg und Dörrwalde, also der Strecke, die im Bereich des Tagebaus Welzow-Süd liegt, ist seit dem frühen 18. Jahrhundert überliefert. Er bezieht sich auf den Handel mit Zucker, Kaffee und anderen Kolonialwaren, die über die nördlich von Welzow auf die Niedere Straße treffende Handelsstraße von Hamburg in die Region gelangten“, so Dr. Hoffmann. „Die Unterscheidung zwischen ‚Hoher‘ und ‚Niederer Straße‘ bezieht sich auf die Privilegien wie beispielsweise Geleitschutz, mit denen die Straße ausgestattet war.“
Umgekehrte Privilegien
Der Kameramann dreht den Profilschnitt einer Fahrspur. Mit den beiden Methoden, Profilschnitt und Flächenschnitt, erhalten die Archäologen die maximalen Informationen, Foto: LEAG
Heute kehren sich die Privilegien um. Dr. Hoffmann hat auf der „Niederen Straße“ jede Menge Geleit. Allerdings nicht zum Schutz. Ein Filmteam ist im Auftrag des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischem Landesmuseums an der Grabungsstelle, um Szenen für den Jahresfilm der Brandenburgischen Archäologen zu drehen. Der Kameramann Marc Hennicke bekommt Instruktionen des Filmemachers Thomas Claus, wie er Dr. Verena Hoffmann und den Fund ins rechte Bild setzen soll.
Glücksbringer aus dem Hochmittelalter
Die Archäologin erklärt ihren Fund für die Kamera. „Seit dem Jahr 2010 führen wir Untersuchungen an der Zuckerstraße durch. Bislang konnten wir eine 150 Meter breite Fahrstraße mit vielen Fahrspuren rechts und links der Straße freilegen. Nachdem wir in diesem Jahr den Oberboden im Bereich der Fahrtrasse gezielt abgetragen haben, hatten wir bei der Metallsuche mit dem Detektor endlich Glück. Uns gelangen einige Metallfunde wie Nägel und das Hufeisen. Diese Funde können wir direkt der Fahrspur zuordnen und wissen, dass sie mittelalterlich sind. Was uns jetzt noch fehlt, sind datierende Funde wie Münzen oder Keramik. Damit könnten wir die Fahrspuren zeitlich exakt einordnen. Wahrscheinlich werden wir das aber auf dem hier freigelegten Stück nicht mehr finden und müssen unserer mühevollen Arbeit weiter nachgehen und die Straße freilegen“.
Weg der weißen Elefanten
Bedeutender Fund: mittelalterliches Hufeisen, Foto: LEAG
Der Filmemacher ist mit seiner Protagonistin zufrieden, ein Versuch, ein Treffer. Weitere Einstellungen und Interviews an anderer Position folgen. Dann ist alles im Kasten. Im Hintergrund begleitet unauffällig der Chef von Dr. Verena Hoffmann den Termin, Dr. Eberhard Bönisch ist Leiter des Referats Braunkohle beim Landesamt. „Er hatte das richtige Gespür beim Auffinden der Zuckerstraße. Auf Airbornelaserscans waren zahlreiche lineare Strukturen sichtbar. Mit seiner Vermutung, dass es sich dabei um Fahrspuren links und rechts der Zuckerstraße handeln könnte, lag er genau richtig“, so Dr. Hoffmann. Diese Spuren entstanden, weil die Händler unwegsamen Stellen auf dem Sandweg links und rechts ausgewichen sind. „Im Laufe der Zeit wurde für die Straße, die ein unbefestigter Sandweg war, ein immer breiter werdender Bereich in Anspruch genommen. Dass die Spuren der Weißen Elefanten – so wurden im Volksmund die mit weißen Planen bespannten Wagen der Fernhändler bezeichnet, die zur Leipziger Messe fuhren – so dicht unter dem Waldboden erhalten waren, hätte vorher niemand für möglich gehalten“, zeigt sich die Archäologin immer noch überrascht.
Karte der Zuckerstrasse, Quelle: Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlerevier, 2013
Nutzungsbeginn unklar
Trotzt der intensiven Untersuchungen bleiben noch viele Fragen offen. So ist weiterhin unklar, seit wann die Zuckerstraße genutzt wurde. „Es ist davon auszugehen, dass die Fernverbindung im untersuchten Bereich bereits im 13. Jahrhundert existierte. Sie spielte sicherlich bei der Erschließung der Region im Zuge des hochmittelalterlichen Landesausbaus eine zentrale Rolle. Die Dorfgründungen in dieser Zeit – Stradow, Wolkenberg, Kausche und Klein Görigk im Norden sowie Jessen, Gosda, Proschim und Welzow im Süden – orientieren sich mit den zugehörigen Gemarkungen an der Wegetrassee der Zuckerstraße. Die Nutzung in slawischer oder frühgeschichtlicher Zeit ist dagegen bisher nicht nachgewiesen“, erläutert die Archäologin.
„Die Tagebauarchäologie macht mir Spaß, weil das Spektrum sehr weit und damit reizvoll ist. Von den ersten menschlichen Spuren bis zur Neuzeit-Archäologie lässt sich im Tagebau alles untersuchen.“
In den kommenden Jahren werden Dr. Hoffmann und ihr Team an weiteren vorhandenen Trassenstücken im Vorfeld des Tagebaus Welzow-Süd forschen, um dieser und anderer Fragen nachzugehen.
Kontinuität verbindet Puzzleteile
„Hier graben wir kontinuierlich mehrere Jahre und können Erfahrungen an einer Stelle oder 100 Meter oder einen Kilometer weiter sammeln. Diese Kontinuität hilft uns, viele Puzzlesteine zusammenzutragen. Bei anderen Grabungen arbeitet man nur an einem kleinen Ausschnitt und wenn man halb eingearbeitet ist, muss man schon wieder weg. Der Erkenntnisgewinn im Tagebau ist also ungleich größer“, sind sich Dr. Verena Hoffmann und ihr Chef, Dr. Eberhard Bönisch, einig. Mittlerweile steht die Mittagssonne hoch am Himmel. Der Baggerfahrer und der Metallsucher gehen ihrer Arbeit draußen weiter gewissenhaft nach, während die Archäologin zurück in ihr Büro fährt, wo die wissenschaftliche Aufarbeitung/Auswertung am Schreibtisch auf sie wartet. Auch das Filmteam packt die Sachen. Bis die Dreharbeiten abgeschlossen sind und der Film bei der Jahresberichtskonferenz des Landesamtes für Denkmalpflege Ende Februar/Anfang März Premiere hat, wird es noch einige Monate dauern.
Circa 14 Hektar groß ist die Grabungsstelle im Vorfeld des Tagebaus Welzow-Süd. Im Hintergrund ragen die Spitzen der Abraumfördergeräte aus der Grube, Foto: LEAG
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