03.04.2019

Klaus Männig im Tagebau Welzow-Süd auf Erkundungstour. Er inspiziert eine alte Entwässerungsstrecke im historischen Oberflözbergbau, Foto: LEAG

Am 9. April feiert der Tagebau Welzow-Süd 60 Jahre Schachtholzlegung. Doch was ist ein Schachtholz? Und was hat ein Schacht mit einem Tagebau zu tun? Dazu muss man wissen, dass bevor Braunkohle gefördert werden kann, das Deckgebirge, also die Bodenschichten über der Kohle, und das Braunkohlenflöz selbst trockengelegt werden müssen. Denn sowohl Grundwasser als auch Regen würden sonst innerhalb kürzester Zeit die Grube voll Wasser laufen lassen. Eine Herausforderung für die Bergleute – heute wie vor 60 Jahren.

Wo heute moderne Filterbrunnenanlagen digital gesteuert den Wasserhaushalt regeln, wurde früher von vielen Bergleuten gegraben und manuell kontrolliert. „Die Entwässerung des Tagebaus Welzow-Süd war Ende der 50er Jahre noch weitestgehend Handarbeit“, erklärt Klaus Männig. Er ist Projektkoordinator in Schwarze Pumpe und unter anderem zuständig für die Vorbereitung des Rückbaus der untertägigen – also unterirdischen – Entwässerungssysteme. Diese wurden noch bis in die 90er Jahre streckenweise genutzt. „Von ursprünglich 90 Kilometern Streckensystem sind heute noch circa 30 Kilometer vorhanden. Das Entwässerungsnetz zog sich schachbrettartig unter dem Tagebau hin. Wobei das Netz vorn erweitert und hinten abgebaggert wurde. Das gelöste Wasser wurde den Wasserhaltungen an den Schächten zugeführt und von diesen nach über Tage gehoben. Über große Betonrohrleitungen wurde es als Brauchwasser nach Schwarze Pumpe gebracht.“, erklärt Männig.

Das Streckenschema des Jahres 1975: Gelb markiert die noch vorhandenen, aber nicht mehr befahrbaren Strecken. Magenta-farbenen Strecken hat der Tagebau bereits 1976 überbaggert. Orange markiert sind die Strecken dargestellt, die bis 1999 noch unterhalten worden sind. Das Luftbild zeigt den Tagebau Welzow-Süd im Jahre 1976, Foto: LEAG

Erstes Schachtholz Symbol für Startschuss

Der Startschuss für das unterirdische Entwässerungsnetz und damit für die Voraussetzung des Tagebaus fiel am 9. April 1959 im Tagebau Welzow-Süd. Symbolisch legten die Bergleute das erste Schachtholz. „Ein Schachtholz ist ein ziemlich dicker Baumstamm, aus dem die Schachtwandungen aufgebaut sind. Er hat einen Durchmesser von bis zu 40 Zentimeter und ist meist aus Eiche, damit er sehr lange hält“, erklärt mir Männig.

Die feierliche Schachtholzlegung fand am 9. April 1959 statt, Foto: LEAG

Kernstücke der Entwässerungsarbeit in Welzow-Süd waren drei Schächte, die bis zu 80 Meter in die Tiefe (bergmännisch: Teufe) reichten. Die ersten beiden wurden per Hand zeitlich fast parallel im Gefrierschachtverfahren gebaut – eine Mammutaufgabe und Neuland in der Lausitz. „Das Verfahren geht auf ein Patent des Berg- und Hütteningenieurs Friedrich Herrmann Poetsch aus dem Jahr 1883 zurück“, erklärt Männig. Wie der Name schon vermuten lässt, wird beim Gefrierverfahren die Erde um den später auszuschachtenden Bereich eingefroren. Um dies zu ermöglichen, wurden die Bohrungen so angesetzt, dass sich ein Kreis um den zukünftigen Schacht bildete: der Gefrierkreis. Das von unten eindringende Grundwasser wurde abgepumpt. „Als der Schacht fertig war, hat man das Gebirge – also den Boden – Stück für Stück wieder auftauen lassen“, so Männig. Seitdem wurde es stetig weiterentwickelt und wird oft für Schächte in wasserführenden Gebirgen eingesetzt. In der Regel erreichten diese Teufen von bis zu 40 Metern. Dr. Walter Hellström übertrug das Verfahren auf die Anforderungen der Lausitz in den 50er Jahren. „Hier haben wir 80 Meter und mehr abzuteufen, also fast das doppelte“, so Männig. Hellström leitet ab 1959 den Aufbau des VEB Braunkohlebohrungen und Schachtbau Welzow und war über viele Jahre der Technische Direktor des Betriebes. Im Tagebau Welzow-Süd ging es dann das erste Mal über 60 Meter in die Tiefe.

 

1/6 Großes Ereignis vor 60 Jahren: Die Feier zur Schachtholzlegung, Foto: LEAG
2/6 Dr. Walter Hellström passte das Gefrierverfahren an die Lausitzer Verhältnisse an, Foto: LEAG
3/6 Gefriermaschinenhaus und Niederbringung einer Gefrierbohrung, Foto: LEAG
4/6 Komplexe Kühltechnik sorgte für den reibungslosen Einsatz des Gefrierverfahrens in Welzow-Süd, Foto: LEAG
5/6 Bereits ein Jahr zuvor wurde mit dem Aufbau der Gefrieranlage begonnen, Foto: LEAG
6/6 Hier sieht man den Gefrierkanal, Foto: LEAG

Reine Handarbeit, Holz für Holz

Die Zimmerei-Leute leisteten schwere Arbeit beim Teufen der Schächte, hier Schacht 2, Foto: LEAG

Nach dem Auftauen musste der Schacht selbst dichthalten. Diesen bauten die Bergleute im so genannten Bolzenschrotausbau – bis in die 60er Jahre war dies reine Handarbeit. Jeder Balken, jeder Pfahl wurde mit präziser Zimmerei Zentimeter um Zentimeter, Meter um Meter nach unten gebaut. „Die Männer brauchten bei guten Bedingungen pro Feld zwei Tage. Ein Feld entspricht ungefähr 1,30 Meter Tiefe. Das war harte Knochenarbeit“, so Männig. Die Bergleute mussten das Gebirge ausschachten, also den Boden abtragen. Dann galt es, die großen Hölzer zu platzieren und die Pfähle nachzusetzen – immer sorgsam und präzise. „Eine Nachbesserung war ganz schwer möglich, denn wenn Wasser einmal läuft, dann läuft es. Es schafft Hohlräume, die unbedingt vermieden werden mussten, um die Stabilität zu erhalten.“ Schacht 1 hatte nach 65 Metern die projektierte Endteufe im Kohleflöz. Eineinhalb Jahre brauchten die Arbeiter für die Fertigstellung. Ab August 1959 fertigten die Bergleute in Welzow Schacht 2 im selben Verfahren.

Schematische Zeichnungen vom Einbau der Schachthölzer, wie sie in Welzow-Süd umgesetzt worden sind, Foto: LEAG

Bohrtechnik für Schacht 3

Bei Schacht 3 wurde fünf Jahre später fortschrittlichere Bohrtechnik eingesetzt. Er wurde zwischen Anfang 1964 innerhalb von nur knapp drei Wochen im Großsaugspülverfahren gebohrt. „Sie können sich das vorstellen wie eine riesige Lochkreissäge, bei der vier verschiedene Durchmesser hintereinander geschaltet worden sind. Der Schachtausbau erfolgte dann nicht mit Holz- sondern mit Stahlbausegmenten, den sogenannten Tübbings.“

 

1/5 Der Aufwand, die Bohrtechnik zu installieren, ist minimal im Vergleich zum Gefrierverfahren. Mit dem LKW ist das Gestänge transportierbar, Foto: LEAG
2/5 Im Tagebau Welzow-Süd kam beim Bohren des Schachtes 3 ein vierteiliger Bohrer zum Einsatz – ähnlich diesem dreiteiligen aus einem anderen Tagebau, Foto: LEAG
3/5 Hier ist das Bohrgerät in Arbeitsstellung, Foto: LEAG
4/5 Hier wird einer der Bohrer montiert, Foto: LEAG
5/5 Der Bohrer wird dann in den Schacht eingehängt, Foto: LEAG

Automatisierung statt Handarbeit

Heute sorgen Filterbrunnengalerien für trockene Füße der Bergleute, Foto LEAG

Doch die Schächte sind nur die Eckpunkte der unterirdischen Entwässerungsanlage für den Tagebau. „Die einzelnen Schächte wurden untereinander mit Entwässerungsstrecken verbunden. Während die Braunkohle über Tage abgebaut wird, sorgten die Bergleute der Entwässerungsabteilung unter Tage für deren trockene Füße. Körperlich schwere und gefahrvolle Arbeit.“ 

Heute läuft die Überwachung voll automatisiert. Filterbrunnen und Pumpen werden zentral über ein Leitsystem gesteuert. Die Zugänge zum unterirdischen Entwässerungssystem von damals sind geschlossen. Moderne Grubenwasserreinigungsanlagen bereiten das gehobene Wasser auf und führen es zu rund 70 Prozent wieder zurück.

„Die Unterwassermotorpumpen von heute sind wesentlich effektiver und man ist weitaus flexibler. Durch die Wahl der Bohransatzpunkte können ganz gezielt Wasserlinsen angefahren werden. Früher unter Tage war dies ein Glücksgeschäft. Zudem brauchte es unter Tage einen unheimlich großen Personaleinsatz“, resümiert Männig: „Trotzdem Hut ab vor den Leuten, die dieses Entwässerungssystem aufgefahren und es betrieben haben.“

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Autor

Daniela Hertzer

Meine berufliche Wiege stand in Brunsbüttel, genauer im dortigen Kernkraftwerk. Von da ging es stromaufwärts über Hamburg und Berlin in die Lausitz. Seit Beginn dieses Jahrtausends arbeite ich in der Unternehmenskommunikation: erst analog, jetzt digital. Mein Antrieb ist die Neugierde und der Spaß am Ausprobieren. Und ich bin ein großer Fan der Sesamstraße. In diesem Sinne: ... 1000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen, manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen....

 

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