Wie eine Landmarke ragt sie aus der weitläufigen Tagebaulandschaft auf. Ihre Stahlträger zeichnen sich eigenwillig gegen den hellen Himmel ab und überspannen mühelos die dünenartige Böschung der Kippe. Geländewagen, Planierraupen und Arbeiter legen Geschäftigkeit an den Tag, wirken gegen sie aber nur ameisengroß. Der komplexe Titan ähnelt eher einem Bauwerk, als einer Maschine. Würde man den Eiffelturm auf die Seite legen, er könnte den Größenvergleich nicht gewinnen. Dieser Gigant hat einen Namen – es ist die Abraumförderbrücke Nummer 34 vom Typ F 60.
Am Fuß der F 60 vibriert die Luft. Die metallischen Laute der etwa 1.500 Fahrwerksräder, die stetigen Geräusche der großen Geräte und Anlagen – sie prägen die Atmosphäre. Der Gigant hat Leben in sich und er hilft den Bergleuten in Jänschwalde inzwischen schon seit über 40 Jahren zuverlässig dabei, die bis zu 95 Meter tief verborgene Braunkohle freizulegen. Zu dem Komplex gehören die Haupt- und eine Zubringerbrücke sowie drei leistungsstarke Eimerkettenbagger. Die Gesamtlänge der F 60 beträgt etwa 654 Meter, ihre Gesamtbreite 420 Meter. In einem ingenieurtechnischen Meisterstück zusammengeschlossen, bringt es dieser Verband zustande, große Mengen Abraum in einem Arbeitsgang zu fördern, sie auf kürzestem Weg direkt über die Kohlegrube zu transportieren und als Kippenmassiv hinter sich aufzutürmen.
Die Geschichte der F 60
Zusammen mit Karsten Möhring, Operativingenieur im Tagebau Jänschwalde, statte ich der Förderbrücke heute einen Besuch ab. Möhring ist schon seit der Inbetriebnahme der F 60 vor 40 Jahren dabei. Er kennt die Abraumförderbrücke gut und weiß auch über den Tagebau selbst viel zu berichten. 1970 begann die Entwässerung des Abbaufelds und bereits am 17. Januar 1974 startete die Aufschlussbaggerung, die den Tagebau Jänschwalde Gestalt annehmen ließ. Eine erste Bandanlage ging in Betrieb, ein Eimerkettenbagger und ein Absetzer nahmen ihre Arbeit auf, bevor ein Jahr darauf im September 1975 die Montage der Abraumförderbrücke begann. GDW Magdeburg und das Lauchhammerwerk konstruierten und bauten den Geräteverband, der schließlich die Baunummer 34 erhielt und damit eine von fünf jemals gebauten Förderbrücken des Typs F 60 darstellt.
Der Blick von der F 60 damals und heute, Foto: Archiv/LEAG
Vier davon verrichten in den Tagebauen Welzow-Süd, Nochten, Reichwalde und natürlich Jänschwalde bis heute ihren Dienst. Neben der Abraumförderbrücke (AFB) in Jänschwalde feiert auch die AFB Nr. 35 in Reichwalde in diesem Jahr ein Jubiläum. Am 27. Juli blickt sie auf eine Lebensspanne von 30 Jahren zurück. Nur die fünfte und jüngste dieser Förderbrücken ist nicht mehr aktiv. Sie steht, nach nur einjährigem Förderbetrieb – von 1991 bis 1992 im ehemaligen Tagebau Klettwitz-Nord – im Besucherbergwerk Lichterfeld-Schacksdorf zur Besichtigung bereit.
Eine Sache der Erfahrung
1978 beginnt der Probebetrieb, Foto: Archiv
In Jänschwalde wurde die Abraumförderbrücke schließlich am 30. Juni 1978 offiziell eingeweiht. Möhring hatte zu diesem Zeitpunkt gerade seine Lehrausbildung beendet, teilt er mir mit, als wir uns auf den Weg in den Leitstand der F 60 machen. Die Förderbrücke läuft mit ihren Fahrwerken auf Schienen, die von Gleisrückmaschinen mit dem voranschreitenden Betrieb des Tagebaus immer wieder mitbewegt werden. „Im Schnitt 18 bis 20 Tonnen lasten auf jedem Rad der Fahrwerke“, erklärt mir Möhring. Dabei bewege sich der riesige Geräteverband im Förderbetrieb mit einer Geschwindigkeit circa acht Metern pro Minute. So laufen wir der Treppe erst einmal ein Stück hinterher, bis wir aufsteigen können. Mein Begleiter bleibt am Treppenabsatz stehen, bis ich festen Halt gefunden habe. „Im Bergbau achten wir aufeinander, Regeln und Sicherheitsvorschriften spielen eine wichtige Rolle“, so Möhring. „Jeder Einzelne ist hier konzentriert bei der Arbeit und bringt auch unter schwersten Bedingungen seine Leistung auf den Punkt.“
Komplexe Vorgänge, erfahrene Bergleute - Alltag im Tagebau Jänschwalde, Foto: LEAG
Durch reine Erfahrungswerte etwa erkennen die Kumpel schon an gewissen Vibrationen, Geräuschen und Gerüchen, ob mit der Anlage etwas nicht stimmt. Ein eigenartiges Quietschen von heißem Metall? Der Geruch von schmelzendem Fett? Alles Hinweise, auf die die Fachleute achten. „Meist kann so Schaden an der Anlage abgewendet werden, bevor etwas ernstlich kaputtgeht. Beinahe eine Wissenschaft, die den Arbeitern viel abverlangt“, bemerkt Möhring. Ich nicke und muss mir eingestehen, dass ich nichts höre, außer den allgegenwärtigen Maschinengeräuschen. Würde ich da etwas heraushören? Eher unwahrscheinlich.
Unter der Brücke, Foto: LEAG
Mensch und Technik auf der Brücke
Herzstück der F 60 - der Leitstand, Foto: LEAG
Über Stufen und Lichtgitterroste hinweg gelangen wir schließlich an unser Ziel: die Kommandozentrale der Abraumförderbrücke – den Leitstand. Schon werde ich mit der nächsten Regel konfrontiert: „Auch, wenn wir uns in einem Tagebau befinden, wird bei uns Sauberkeit großgeschrieben“, sagt Möhring. Bevor ich in den Leitstand treten darf, werden mir übergroße Pantoffeln verpasst, die ich über meine Schuhe ziehe, um den Staub von draußen nicht in den Innenraum zu tragen. Wie ich schnell erfahre, erfüllt hier Sauberkeit am Arbeitsplatz nicht nur einen ästhetischen Zweck. So wird auch die Steuer- und Leittechnik geschützt. Im Inneren des Leitstands treffen wir Michael Storch. Er sitzt vor mehreren hellen Monitoren, die er alle konzentriert im Blick behält. Hier oben läuft die Kommunikation aller im Verband befindlicher Geräte zusammen.
Der Leitstand ca. 1987 noch mit Schaltwänden und Tastenpulten, Foto: Archiv
Storch koordiniert, steuert, dirigiert, gibt über Lautsprecher den Ton an – kurzum: Er ist der Brückenfahrer und hält alle Fäden in der Hand. Neben ihm gibt es noch den Kippenstützenfahrer und die drei Baggerfahrer, mit denen sich Storch regelmäßig abstimmt. Sie steuern zusammen den gigantischen Verband. Ich erfahre, dass die Technik vor über 20 Jahren auf SPS, also Speicherprogrammierbare Steuerung, umgestellt wurde. Sie unterstützt Augen und Ohren des Brückenfahrers besser, als es die frühere Mess-, Regel- und Steuertechnik konnte. So trägt sie zu einem besonders störungsarmen Förderbetrieb bei. „Ganz zum Anfang war das noch nicht so. Da hatten wir Relaissteuerung, mannshohe Schaltwände und einen ROBOTRON-Prozessrechner, der so groß war, dass er einen eigenen Raum ausfüllte“, sagt Möhring und denkt zurück.
Wie alles begann
Die Zeremonie zum Beginn des Probebetriebs am 30. Juni 1978, Foto: Archiv
Er und Storch kennen sich schon, seitdem die beiden ausgelernt haben. „1978 war das“, erinnert sich Storch. Wie Möhring hat auch er Maschinist gelernt und die Ausbildung für die Inbetriebnahme der F 60 extra vorzeitig abgeschlossen. Er entsinnt sich noch genau an die Zeremonie. „Die offizielle Einweihung war um 10.20 Uhr. Der Festredner hatte seine Bergmannsuniform an und die Bergmannskapelle spielte auf. Das war ein Ereignis! Für die ‚Aktuelle Kamera‘, die tägliche Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens und deren Moderatorin Angelika Unterlauf, wurde sogar ein bisschen extra aufgetragener Sand über die Förderbänder transportiert, damit das Kamerateam was zum Filmen hatte.“ Er lacht. „Dabei war zu Beginn des Probebetriebs noch gar nicht alles so perfekt, wie es geplant gewesen war“, übernimmt Möhring dann wieder. „Vieles musste noch improvisiert oder ganz fertiggestellt werden, aber die Leute waren erfinderisch und wussten sich zu helfen. Es heißt ja Probebetrieb, weil sich das Zusammenspiel der riesigen Anlage erst einstellen musste. Das braucht Zeit.“ Er deutet auf einen der Bildschirme des Leitstands und holt mich zurück in die Gegenwart.
Zur Aufnahme des Probebetriebes gab es einen "Ersttagsbrief" mit eigens gestalteter Briefmarke, Foto: Archiv
„Die moderne Technik hilft einem als Brückenfahrer sehr. Mithilfe der Kippenhöhenmessung sieht man zum Beispiel die Höhe und Breite der Kippenabwürfe. So kann die Kippe exakt geschüttet werden. Wir haben da strenge Auflagen, um Rutschungen zu verhindern. Das ist sehr wichtig“, betont er. „Bevor es dieses Messsystem gab, das mit Laserscannern arbeitet, war das Augenmaß des Brückenfahrers gefragt.“ Möhring deutet aus einem der kleinen Fenster, die Licht in den Innenraum des Leitstands lassen. „Früher hing am Kippenausleger zum Peilen eine Bandrolle an einem Seil. Das war die ganze Messeinrichtung. Da brauchst du Erfahrung, das lernt man nicht von heut auf morgen. Es dauert Jahre, um Brückenfahrer zu werden.“ Der Ingenieur weiß, wovon er spricht. Bevor er 1989 sein Studium aufnahm, hatte er sich nämlich selbst vom Maschinisten zum Brückenfahrer hochgearbeitet.
Instandhaltung eines Stahlgiganten
Wir verabschieden uns von Storch und verlassen den Leitstand. Unser Weg führt jetzt weiter nach oben. Entlang des Hauptförderbands, das ungefähr 36.000 Kubikmeter Abraum in der Stunde befördern kann, überqueren wir die Kohlegrube und steigen der Spitze des Kippenauslegers entgegen.
Unterwegs in luftiger Höhe: Autorin Juliane Krause, Foto: LEAG
Jetzt kann ich beweisen, dass ich schwindelfrei bin. Zu meinen Füßen sind nur Gitterroste, die den Blick auf die Kohlebagger tief unter mir freigeben. Der höchste Punkt der F 60, auf den wir zusteuern, befindet sich circa 87 Meter über dem Höhenniveau der Grube. Wir haben Glück, denn im Augenblick steht der Geräteverband still und damit ruhen auch die Förderbänder. Somit können Möhring und ich uns einige Details ansehen, die im laufenden Betrieb schwer zu betrachten sind. Er zeigt mir zum Beispiel die Stellen, an denen früher Arbeiter mit Muskelkraft und robusten Werkzeugen Verschmutzungen von der Stahlkonstruktion entfernen mussten. Heute erleichtert wiederum Technik diese mühevolle Arbeit. Anstatt mit schwerem Handgerät wird die tägliche Reinigung an der Förderanlage mit Druckluft realisiert.
Ich möchte wissen, weshalb die Abraumförderbrücke angehalten hat und frage nach. „Wir haben die Anzeichnungsstellung für die KI erreicht“, erhalte ich daraufhin zur Antwort. KI – das ist die Abkürzung für die große Komplexinstandsetzung, die ab dem 16. Juli stattfinden wird. „Dafür werden dann auf den Gleisen die Standorte der Fahrwerke des Verbands angezeichnet, um später Reparaturplatzeinrichtungen exakt positionieren zu können, auch wenn die Förderbrücke erstmal auf einem anderen Abschnitt im Tagebau weiterfährt. Zwei Wochen soll die KI dieses Mal dauern“, erwähnt Möhring weiter. Sie sei der größte Arbeitseinsatz, bei der Großbauteile gewechselt oder instandgesetzt würden, ohne die die F 60 nicht fahren könne. „Auch größere Umbau- und Modernisierungsarbeiten erfolgen, die im Förderbetrieb nicht möglich sind“, fährt Möhring fort. „Alle diese Maßnahmen werden in der KI zeiteffizient vereint.“
Arbeiter markieren auf den Gleisen verschiedene Positionen für die KI, Foto: LEAG
Die drei Ausbaustufen
Der Eimerkettenbagger Es 3750-1300 im Einsatz, Foto: LEAG
Schließlich erklimmen wir eine letzte Leiter und stehen nun am höchsten Punkt der Abraumförderbrücke. Von hier oben kann ich alles überblicken und sehe die an die Förderbrücke angeschlossenen Bagger auf zwei Arbeitsebenen – auf der Hauptarbeitsebene einer auf jeder Seite der Bandbrückenkonstruktion der F 60, der dritte eine Ebene höher. Es handelt sich dabei um Bagger des Typs Es 3750. Die Abkürzung „Es“ bedeutet: Eimerkettenbagger schwenkbar. Es sind die größten und leistungsfähigsten Eimerkettenbagger, die je in der DDR gebaut wurden. Mit ihren 43 Eimern kann jeder von ihnen bis zu 12.000 Kubikmeter Abraum in der Stunde fördern. Zu Betriebsbeginn im Jahr 1978 gehörten zwei Es 3750 zu dem Verband. Das nennt Möhring die erste Ausbaustufe.
Der Blick in die Grube des Tagebaus, Foto: LEAG
Ab Juni 1983 kam dann noch ein dritter Bagger des gleichen Typs hinzu – die sogenannte zweite Ausbaustufe war erreicht. Ab diesem Zeitpunkt arbeiteten drei baugleiche Bagger auf einer gemeinsamen Arbeitsebene. Erst im Juli 1984 wurde die F 60 schließlich mit der Zubringerbrücke komplettiert. Einer der Es 3750 zog auf die neue obere Arbeitsebene um und der geförderte Abraum wurde fortan über die Zubringerbrücke zur Hauptbrücke transportiert. In dieser dritten und letzten Ausbaustufe läuft der Förderbetrieb bis heute. Am 13. Juni 2008 erreichte die Brücke in dieser Konstellation ihre bisherige Tageshöchstleistung: Sie förderte 735.440 Kubikmeter Abraum. Zwischen dem 1. Juli 1978 und dem 1. Juli 2018 hat sie insgesamt 3,184 Milliarden Kubikmeter Abraum bewegt – unvorstellbar!
Der Geräteverband der F 60 im Überblick: Der Es 3750-1294 und die Zubringerbrücke (l.), die Eimerkettenbagger 1292 und 1300 (Mitte) und die Förderbandbrücke (r.), Foto: LEAG
Was kommt danach …?
Die F 60 in Jänschwalde: eine Konstruktion aus Stahl und ausgefeilter Technik, eine der größten und leistungsstärksten Fördermaschinen im übertägigen Bergbau – die größte fahrbare Industrieanlage der Welt. Ungefähr 31.250 Tonnen Dienstmasse bringt der Koloss auf die Waage. Im Tagebau wurde die Abraumförderbrücke gebaut und hier wird sie schließlich auch das Ende ihrer Betriebszeit erleben. Es ist eigenartig zu wissen, dass die Brücke in den kommenden fünf Jahren auf ihr Dienstende zusteuert. Dann hat der Tagebau Jänschwalde voraussichtlich seine Endstellung erreicht und die seit 1978 freigelegten Kohlevorräte sind vollständig gewonnen. „Die F 60 könnte noch Jahrzehnte weiter laufen“, ist sich Möhring sicher, während er den Blick über das Konstrukt schweifen lässt, das er so gut kennt. „Diese Art von Abraumförderbrücken sind einzigartig und für die Lausitz prägend – Sie haben den Bergbau revolutioniert.“
Weitere Artikel rund um das Thema Tagebau:
Lärmschutz in den LEAG Tagebauen
Tagebau Welzow-Süd: Mehr als eine Milliarde Tonnen Braunkohle
Chefin auf dem Leitstand der LEAG