24.08.2017

Im Sommer letzten Jahres entdeckte Ronny Lehmann eine interne Stellenausschreibung - für die zukünftige Kraftwerkseinsatzplanung der LEAG in Hamburg wurde Personal gesucht. Der zweifache Familienvater, der bis dato als stellvertretender Meister in der Hauptwerkstatt im Industriestandort in Schwarze Pumpe arbeitete, bewarb sich. Nur zwei Monate später ging es für ihn und fünf weitere Quereinsteiger aus der Lausitz an die Elbe. Dort wurden sie für die neuen Aufgaben fit gemacht. Gespräch mit einem, der den Sprung ins kalte Wasser wagte. 

Herr Lehmann, wie erklären Sie anderen, was Sie derzeit beruflich machen?

Ich bezeichne mich als Lotsen, der statt Flugzeuge eben Kraftwerke steuert und dessen Aufgabe es ist, diese gewinnbringend einzusetzen. In meiner Funktion als Dispatcher besteht meine konkrete Aufgabe in der Überwachung der Fahrpläne für unsere Kraftwerke.

Wie entstehen diese Fahrpläne?

Sie werden von den Kollegen in der Short Term Optimization (STO) erstellt. Grundlage bilden die Liefervereinbarungen, die wir mit dem Übertragungsnetzbetreiber geschlossen haben, in dessen Regelzone unsere Kraftwerke liegen – in unserem Fall also mit 50Hertz. Um 14:30 Uhr eines jeden Tages werden unsere Fahrpläne für den Folgetag weitergeleitet. Kommt es dann zu Abweichungen, müssen wir reagieren. 

 Ronny Lehmann arbeitet als Dispatcher in der Kraftwerkseinsatzplanung. Foto: Lange

Was sind denn mögliche Ursachen für „Fahrplanabweichungen“?

Eine durch Umwelteinflüsse, wie Regen, verminderte Kohlequalität, Wartungsarbeiten oder eine kurzfristig auftretenden Störung können dazu führen, dass ein Kraftwerk nicht die eingeplante Menge Strom produzieren kann.
Ein weiteres Szenario hängt damit zusammen, dass die erneuerbaren Energien laut Gesetz immer Vorrang bei der Einspeisung ins Netz haben. So kann es notwendig werden, unsere Stromzulieferung runterzufahren, weil Wind- oder Solareinspeisung höher ausfallen als veranschlagt. Natürlich ist auch das Gegenteil der Fall. Um diese Schwankungen im Stromnetz auszugleichen, halten wir „Reserveleistung“ bereit. Diese wird in sogenannten Redispatch-Maßnahmen vom Übertragungsnetzbetreiber angefordert.

Was passiert bei einem Ausfall auf Kraftwerksseite?

Dann muss ich die so entstandene Differenz ausgleichen, entweder über ein anderes Kraftwerk aus unserem Fuhrpark oder indem ich den Strom an der Börse einkaufe. Liegt der Preis dort unter unseren Betriebskosten macht es betriebswirtschaftlich natürlich mehr Sinn, unsere Anlagen generell runterzufahren. Dabei darf ich aber auch die Zeiten nicht aus dem Blick verlieren, die ein Kraftwerk braucht, um wieder hochzufahren und ich muss wissen, welche Anlagen wie viel Reserveleistung und in welcher Form bereithalten sollten. Ich muss also die technischen Details unseres Kraftwerksparks genauso „intus“ haben wie die aktuellen Börsenpreise.

Was hilft Ihnen, bei dieser komplexen Sachlage nicht den Überblick zu verlieren?

Meine zehn Bildschirme – darüber laufen alle Kraftwerkseinsatzpläne, aber auch Störungsmeldungen und die aktuellen Börsenzahlen. Per Telefon spreche ich mit den Schichtleitern im Kraftwerk, mit dem Übertragungsnetzbetreiber und den Kollegen, die den Strom an der Börse handeln. Oft bleibt mir nur wenig Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. 

Ronny Lehmann sorgt dafür, dass die LEAG-Kraftwerke - hier Schwarze Pumpe - gewinnbringend arbeiten können. Foto: Andreas Franke


Klingt nach viel Stress?

Ja, aber positiver Stress – manchmal starte ich meine Schicht, dann klingelt das Telefon und schon geht alles Schlag auf Schlag und meine Arbeitszeit ist rum. Dieses ergebnisorientierte Arbeiten motiviert mich jeden Tag. 

Was braucht ein guter Dispatcher?

Die Fähigkeit mit Druck und Störgeschehen umgehen zu können und in stressigen Situationen einen kühlen Kopf zu behalten. Ein Dispatcher sollte analytisch denken, stets den Überblick behalten, seine Anlagen aus dem Effeff kennen, strukturiert arbeiten und wenn die Tools ausfallen, die wichtigsten Daten schnell im Kopf zusammenrechnen können. Generell gilt: Mit der Zeit kommt die Erfahrung, mit der Erfahrung die Intuition. 

Was ist der größte Unterschied zu Ihrer früheren Tätigkeit?

In der Werkstatt war ich körperlich aktiv, habe in einer Schicht weite Wege zurückgelegt. Jetzt muss ich im Kopf gedankliche Marathons absolvieren. Als Ausgleich zu meiner überwiegend sitzenden Tätigkeit fahre ich jetzt wieder mehr Fahrrad – wenn es Wetter und Schicht zulassen gern um den Hamburger Hafen. 

Den Sprung ins kalte Wasser haben Sie nicht bereut?

Auf keinen Fall! Die Erfahrung am anderen Ende der Wertschöpfungskette mitwirken zu können, möchte ich nicht mehr eintauschen. Dieses Spiel mit den Zahlen ist einfach unglaublich spannend. Viele Möglichkeiten können zur Lösung – der zu produzierenden Menge Strom – führen und ich muss die wirtschaftlich ertragreichste Kombination finden, ohne unsere Anlagen zu verschleißen und sie dem kurzfristigen Profit „zu opfern“ – das ist Puzzlearbeit unter Zeitdruck. 

Was sagt Ihre Familie?

Die Entscheidung für eine bestimmte Zeit nach Hamburg zu gehen, habe ich natürlich gemeinsam mit meiner Frau getroffen. Vorher war ich aufgrund der Schichtarbeit unter der Woche auch kaum zu hause. Jetzt arbeite ich im Dreischichtsystem, wochentags acht Stunden und am Wochenende zwölf. Dafür habe ich jetzt mehrere Tage am Stück frei und kann mich in dieser Zeit viel intensiver um Familie, Haus und Hof kümmern. Eine Gewinnsituation für uns alle.

 

 

 

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Autor

Kristina Strehle

Ich bin gebürtige Lausitzerin mit familiärer Bergbautradition. Nach meinem Studium der Kultur- und Medienwissenschaften in Frankfurt (Oder), Mexiko Stadt und Berlin folgten Arbeitsaufenthalte in Südafrika und Bangladesch. Mein Thema: Entwicklungszusammenarbeit. Dann ging es für mich „zurück zu den Wurzeln". Meine Haltestationen in Cottbus: das osteuropäische Filmfestival, eine Opernproduktion des Staatstheaters und der Lehrstuhl Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der BTU. Seit Oktober 2016 bin ich nun in der internen Kommunikation der LEAG „sesshaft“.

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