26.04.2019

See in Sicht! Die Entstehung des Cottbuser Ostsees aus dem ehemaligen Tagebau Cottbus-Nord ist auf der Zielgeraden angekommen. Er wird künftig zum größten Bergbaufolgesee Deutschlands werden. Wie hier Tagebaukippen zu einem stabilen Seebett wurden und was all diese Arbeit mit zukunftsweisender Forschung zu tun hat, habe ich im Gespräch mit Torsten Bahl erfahren, der mit seinen über 20 Jahren Erfahrung die Verdichtungsarbeiten am Cottbuser Ostsee leitet. Wo in naher Zukunft einmal Badegäste abtauchen werden, konnte ich einige Tage vor dem Beginn der Flutung noch einmal in die abschließenden Arbeiten vor Ort eintauchen. Im Jeep machten Bahl und ich uns auf den Weg zum Seeboden.

Tiefenverdichtungsmaßnahmen sind am Cottbuser Ostsee unverzichtbar, Foto: LEAG

Zu Beginn unserer Tour setzt mich der Diplomwirtschaftsingenieur erst einmal ins Bild: Große Teile des Seegrunds, zwei Inseln und das Ostufer wurden von Tagebaugeräten geschüttet. Der sogenannte Kippenboden ist im Gegensatz zu natürlich gewachsenem Erdreich ziemlich locker gelagert und sandig. Er gilt deshalb als schwieriger Baugrund. Gefahren wie Rutschungen, Sackungen oder Setzungsfließen, die plötzliche Verflüssigung des Kippenbodens durch starke Wassersättigung, sollen ausgeschlossen werden. Deshalb greift man auf die bewährten Tiefenverdichtungsmaßnahmen mittels Rütteldruckverdichtung (RDV) und Fallgewichtsverdichtung (FGV) zurück, die Bahl hier betreut. Ohne diese Maßnahmen könnten sichere Restseeböschungen gar nicht gewährleistet werden. Auch die Errichtung von Bauwerken auf solch einem Untergrund wäre nicht möglich. "Das Prinzip ist dabei denkbar einfach“, versichert mir Bahl. „Im Grunde wird die Dichte des Bodens erhöht, damit er fester und tragfähiger wird. Bei der Rütteldruckverdichtung versenkt ein Trägergerät, wie beispielsweise ein Raupenkran, die sogenannte Lanzengarnitur im Boden. Je nach Kippenmächtigkeit und Wasserstand in der Kippe kann die Teufe variieren – hier zum Beispiel wird die Lanzengarnitur bis zu 50 Meter tief in den Boden versenkt. An der Spitze der Garnitur befindet sich ein Rüttler. Er vibriert und sorgt so dafür, dass die Bodenkörner enger zusammenrutschen. So verdichtet sich das Bodenmaterial. Dabei wird die Schwerkraft ausgenutzt. Unterstützend werden Wasser und Druckluft über Düsen eingeleitet. Füllboden wird von oben mittels eines Radladers oder über den von uns entwickelten Massezugabetrichter eingefüllt.“

Der Füllboden wird per Massezugabetrichter eingefüllt und genau dosiert, Foto: LEAG

Nadelöhr im Boden

An einer der letzten verbleibenden Rüttelstellen am sogenannten Kontrollpunkt Seemitte zeigt mir Bahl, wie der Prozess in der Praxis aussieht. Wir beobachten, wie sich eine Lanzengarnitur gerade frisch im Untergrund einarbeitet. Bahl und ich halten und steigen aus. Wir besuchen einen der Fahrer der GMB GmbH, der hier gerade Schicht hat. Er sitzt in der Kanzel des Raupenkrans und steuert händisch und mit viel Feingefühl den Einfahrprozess. Dieser Teil der Arbeiten erfordert Erfahrung, denn die Lanze muss mit ihren 40 Zentimeter Durchmesser in den Boden eingeführt werden, ohne sich zu verkeilen oder stecken zu bleiben – nur mit Augenmaß. Hat der Rüttler seine Zieltiefe erreicht, beginnt der Verdichtungsprozess.

Sicher durch Erfahrung

So funktioniert die Errichtung des "versteckten Dammes" im Boden, Grafik: LEAG

„Der Rüttler wird immer wieder in Halbmeterschritten nach oben gezogen, verdichtet 30 Sekunden lang den Bereich, in dem er anhält, und wiederholt diesen Prozess, bis er die Erdoberfläche wieder erreicht. Bevor der Rüttler jedoch in die nächste Tiefenstufe gezogen wird, senkt man ihn nochmals um circa einen halben Meter ab, um die Erde im Rüttelloch besser zu verdichten. Diese Vorgehensweise wird als Pilgerschrittverfahren bezeichnet. So werden in einem Raster von 3,5 Metern unterirdische Rüttelsäulen errichtet, die im Verbund einen sogenannten „versteckten Damm“ bilden“, erklärt Bahl, während wir die unterschiedlichen Parameter auf dem Fahrerdisplay betrachten. „An dem Kontrollpunkt Seemitte, an dem wir uns befinden, werden so beispielsweise im Umkreis von 50 Metern Fundamente gesetzt, auf denen später standsicher unter anderem eine Wetterstation gebaut werden soll.“ Die Rüttelparameter bei Kippenböden basieren auf Erfahrungswerten und gesammelten Ergebnissen von Testfeldern. Da sich der Boden nicht gleichmäßig zusammensetzt, müssen die Parameter eine sichere Verdichtung in allen Bereichen garantieren. „Das Dreieinhalb-Meter-Raster hat sich bei der Verdichtung von geschütteten Kippenbereichen in der Lausitz bewährt“, so Bahl. „Bei einem Abstand von zum Beispiel vier Metern im Raster könnte die Bodendichte schon nicht mehr ausreichen. Da bauen wir lieber auf Sicherheit.“ Um ganz sicher sein zu können, dass alles funktioniert hat, finden im Anschluss an die Arbeiten umfangreiche Erkundungsprogramme statt. Zusätzlich erarbeitet ein Geotechniker einen Verdichtungsnachweis, der den Erfolg des Vorgangs abschließend attestiert.

„Intelligente Rüttler“

Die Sensoren sind im Rüttler verbaut und von außen nicht zu sehen, Foto: LEAG

Bereits in den 1930er Jahren wurde das Verfahren der Rütteldruckverdichtung patentiert, aber das Prinzip der Bodenverdichtung selbst fand sogar schon im Altertum Anwendung. In der Lausitz wird seit 1994 gerüttelt. Die Prozedur hat sich seither weiterentwickelt. Die Prozesssteuerung findet teilautomatisiert vom Fahrerstand aus statt. GPS-Koordinaten, Luft- und Wasserdruck, Drehwinkel, Senktiefe oder Frequenz – all diese Parameter helfen dabei, den Erfolg der Verdichtung zu gewährleisten. „Trotzdem arbeiten wir daran, die Rütteldruckverdichtung noch intelligenter und wirtschaftlicher zu gestalten.“ Deshalb forscht die LEAG seit 2011 auch gemeinsam mit Universitäten intensiv auf diesem Gebiet. Im Fokus dieser Forschung steht die Ausstattung der Lanzengarnitur mit einem sensorbestückten Messrüttler. Die Sensoren können während des Rüttelprozesses permanent Daten erfassen und auswerten. Diese werden genutzt, um den Verdichtungsprozess weiter zu optimieren. In Zukunft könnte so zum Beispiel beim Einfahren der Lanzengarnitur die Bodenbeschaffenheit erfasst werden. Das wäre eine große Unterstützung für den Geräteführer. Die Herausforderung hierbei besteht in den Bedingungen, die die feine Mikroelektronik und Sensorik eines solchen Messrüttlers im Betrieb aushalten muss.

Allen Widrigkeiten zum Trotz

Tudeshki (li.) ist beim Test des sensorbestückten Messrüttlers vor Ort, Foto: LEAG

„Die ständige Vibration, plötzliche Schocks und Schläge, wechselnde Temperaturen und nicht zuletzt der Dreck machen der empfindlichen Elektronik zu schaffen“, erklärt Bahl. „Heute halten die Sensoren im Messrüttler die Belastung bereits 300 bis 400 Betriebsstunden lang aus, bevor die Technik den Geist aufgibt – in Ausnahmefällen sogar 700, aber das ist nicht die Norm,“ räumt Bahl ein. Die endgültige Lösung für dieses Problem sei noch nicht gefunden. Zusammen mit Professor Hossein Tudeshki von der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld und der Partnerfirma Bits Chemnitz startete die LEAG nun vor kurzem eine neue Messreihe. „Vier Tage lang wurden zwei unterschiedliche Algorithmen getestet, die Professor Tudeshki und seine Mitarbeiter entwickelt haben. Die Testreihe war erfolgreich. Im Mai werden sich alle Beteiligten bei einem Workshop mit der Auswertung der Daten befassen und entscheiden, was zu tun ist und wie die Forschung weiter vorangetrieben und genutzt werden kann“, sagt Bahl.

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Zukunftsperspektiven

Die permanente Interaktion zwischen Rüttler und Boden wird zukünftig die Fahrweise revolutionieren und viel anpassungsfähiger gestalten – dessen ist sich Bahl sicher, auch wenn das nicht mehr im ehemaligen Tagebau Cottbus-Nord geschehen wird. Hier ist an den geschütteten Randböschungen des künftigen Ostufers mit seinen vorgelagerten Inseln ein etwa 120 Meter breiter, bis zu 50 Meter tiefer und zwölf Kilometer langer unterirdischer Damm entstanden. Insgesamt 46 Millionen Kubikmeter Boden wurden verdichtet. Aber gleich nebenan, im Tagebau Jänschwalde, warten noch rund 100 Millionen Kubikmeter Kippenboden darauf, so standfest und solide zu werden, wie es die Ufer des nahenden Cottbuser Ostsees – dank der Rütteldruckverdichtung – heute bereits sind.

Weitere Informationen zum Cottbuser Ostsee finden Sie hier. Lesen Sie auch unsere Pressemitteilung zum Flutungsbeginn und erfahren Sie von Geotechnikerin Heike Beutler, warum ihre Aufgabe am Cottbuser Ostsee für sie „ein Traumprojekt“ war.

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Juliane Krause

Autor

Juliane Krause

Seit April 2018 verstärke ich als Redakteurin das Kommunikationsteam der LEAG. Ursprünglich begann mein beruflicher Werdegang allerdings in der Welt des Bestellwesens. Als Quereinsteiger in die Welt der Worte bringe ich aus dieser Zeit meine mehrjährige Berufserfahrung mit, genau wie meinen offenen Blick. Abseits meiner ersten, journalistischen Erfahrungen der Vergangenheit freue ich mich jetzt darauf, an meinen immer neuen Aufgaben zu wachsen. Und gespannt bin ich natürlich auch – auf die Menschen und Geschichten, die mich erwarten! Denn wie sagte bereits einer meiner liebsten Autoren: „Die Neugier ist die mächtigste Antriebskraft im Universum, weil sie die beiden größten Bremskräfte im Universum überwinden kann: die Vernunft und die Angst.“

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